»Große Schwierigkeiten«

Der Bundestag beschloss am 20. Oktober eine Ergänzung des »Volksverhetzungsparagraphen« 130 Strafgesetzbuch (StGB). konkret sprach mit Kai Ambos, Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Uni Göttingen, über Konsequenzen und Probleme der Gesetzesänderung. Professor Ambos ist Richter am Kosovo-Sondertribunal und Berater (amicus curiae) der kolumbianischen Sondergerichtsbarkeit für den Frieden

konkret: Der neue Absatz 5 im Paragraphen 130 wurde gleichsam im Huckepack über ein Gesetz zum Bundeszentralregister zur Abstimmung vorgelegt. Wie beurteilen Sie dieses Verfahren?

Kai Ambos: Es wäre angemessener gewesen, die Gesetzesänderung im normalen Verfahren als StGB-Änderung mit entsprechender Diskussion, eventuell sogar Sachverständigenanhörung, vorzunehmen.

Ist die Verharmlosung oder Leugnung von Kriegs- und anderen völkerrechtlichen Verbrechen ein Delikt, das ein eigenes Gesetz zur Ahndung benötigt?

Formal geht es ja um die überfällige Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses aus 2008, um das laufende Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Diese Beschlüsse werden einstimmig angenommen, also hat auch der Vertreter der Bundesregierung zugestimmt. Inhaltlich gibt es in der Tat eine Übereinstimmung mit dem Billigen gemäß Paragraph 140, Nummer 2, in Verbindung mit Paragraph 126, Absatz 1, Nummer 3 StGB. Das ist aber schon im Rahmenbeschluss angelegt, der ja eben zur Kriminalisierung aller drei Tathandlungen – billigen, leugnen, gröblich verharmlosen – auffordert. Hinzu kommen jetzt »leugnen« und »gröblich verharmlosen«, die sich ja darin vom »billigen« unterscheiden, dass die in Bezug genommene Tat tatsächlich geschehen sein muss, weil ich ja strenggenommen nicht etwas leugnen, verharmlosen kann, was überhaupt erst noch – etwa durch einen gerichtlichen Prozess der Wahrheitsfindung – festgestellt werden muss.

Die Absätze 3 und 4 des Paragraphen 130 dienten bislang dazu, die Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust und der NS-Gewaltherrschaft nicht nur ahnden, sondern als Vergehen eigener Dimension kennzeichnen zu können. Könnte die Ergänzung durch den neuen Absatz 5 am Ende dazu führen, dass die Einzigartigkeit des Holocaust nicht mehr so eindeutig vom Gesetzgeber markiert ist?

Einerseits ja, weil neben dem Holocaust und der NS-Gewaltherrschaft jetzt eben auch die völkerrechtlichen Verbrechen erfasst sind. Andererseits aber ist der neue Absatz 5 aus mehreren Gründen enger: er verlangt ein »gröbliches« Verharmlosen, eine doppelte Eignung der Handlung nicht nur bezüglich der Friedensstörung, sondern auch bezüglich der Aufstachelung zu Hass oder Gewalt, und nicht zuletzt ist die Höchststrafe mit drei statt fünf Jahren (Absatz 3) geringer.

Kritiker der Gesetzesänderung monieren, der neue Absatz 5 sei so ungenau formuliert, dass er missbräuchliche oder fehlerhafte Auslegung geradezu provoziert. Wie beurteilen Sie die Diktion der Formulierung?

Wenn man wie oben davon ausgeht, dass die geleugneten oder verharmlosten – im Gegensatz zu den gebilligten – Taten tatsächlich geschehen sein müssen, wird den Tatgerichten die schwierige Bewertung komplexer historischer Ereignisse aufgebürdet. Beim NS-Unrecht mag man das noch akzeptieren, weil es da nicht nur eine umfassende historische Aufklärung, sondern auch eine ständige Rechtsprechung gibt. Natürlich kennen wir auch viele andere Beispiele historischen Unrechts kriminellen Ausmaßes, aber verlangt wird ja die Subsumtion bestimmter Handlungen, die als völkerrechtliche Verbrechen im Sinne der Paragraphen 6-12 Völkerstrafgesetzbuch zu qualifizieren sind. Das überfordert die Tatgerichte, selbst wenn es einschlägige historische Untersuchungen geben sollte. Es wäre deshalb besser gewesen, der Gesetzgeber hätte von der im Rahmenbeschluss vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine gerichtliche Feststellung der entsprechenden Taten zu verlangen - sei es durch ein internationales Strafgericht oder den Bundesgerichtshof oder gegebenfalls auch Oberlandesgerichte. Auch die Auslegung des »gröblichen« Verharmlosens und des schon genannten doppelten Eignungserfordernisses werfen große Schwierigkeiten auf.

Welche beispielsweise?

Die Tathandlung des »Verharmlosens« hat schon in der bestehenden Fassung erhebliche Auslegungsprobleme quantitativer und qualitativer Art aufgeworfen, weil man ja erst mal einen Vergleichsmaßstab bilden muss, bezüglich dessen man dann von einem Verharmlosen sprechen kann. Durch die Zufügung von »gröblich« soll die Tathandlung verengt werden, aber wenn schon das einfache Verharmlosen kaum klar ist, wie soll man das dann sinnvoll vom »gröblichen« Verharmlosen abgrenzen können? Das Eignungserfordernis setzt eine schwierige Prognose voraus: Der Tatrichter muss feststellen, ob eine bestimmte Äußerung (in Form von Billigen, Leugnen oder Verharmlosen eines völkerrechtlichen Verbrechens) dazu geeignet ist, einerseits zu Hass oder Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe aufzustacheln und andererseits »den öffentlichen Frieden zu stören«. Das lässt sich eigentlich nur sicher sagen, wenn aus der bloßen Äußerung auch konkrete Taten, etwa Gewalthandlungen gegen eine bestimmte Gruppe, folgen; dafür haben wir dann aber andere Tatbestände (z. B. Nötigung, Beleidigung, Körperverletzung, Totschlag).

Könnte das geänderte Gesetz die Meinungsfreiheit einschränken?

Das Gesetz greift sicher in die Meinungs- und gegebenenfalls auch Wissenschaftsfreiheit ein; auch die Versammlungsfreiheit könnte betroffen sein. Bezüglich der Meinungsfreiheit würde ich schon davon ausgehen, dass es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne von Artikel 5 des Grundgesetzes handelt. Denn es geht ja gerade nicht um bestimmte völkerrechtliche Verbrechen, sondern alle möglichen, unabhängig von einer bestimmten Ideologie. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa im Wunsiedel-Beschluss. (Darin wurde 2009 das Verbot von Neonazi-Aufmärschen im Ort Wunsiedel für verfassungsgemäß erklärt, d. Red.) Es ist auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 10 – Freiheit der Meinungsäußerung – der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten.

Auf welches Urteil spielen Sie an?

Die Große Kammer des EGMR hat 2015 im Verfahren Perincek gegen Schweiz – in dem es um die Leugnung des Völkermords an den Armeniern ging – erklärt, dass eine Verurteilung bestimmter Leugnungen eine geografische beziehungsweise historische Verbindung zum aburteilenden Staat voraussetzt.

Wie ist das zu verstehen?

Das entspricht dem auch im Eignungserfordernis des Paragraphen 130 angelegten Gedanken, dass eine Störung des öffentlichen Friedens in der betreffenden Rechtsordnung herbeigeführt werden muss. Mit anderen Worten: Deren öffentlicher Frieden kann eben nur dann betroffen sein, wenn irgendeine Beziehung der Äußerung zu dieser Rechtsordnung besteht. Um ein Beispiel zu geben: Die Leugnung des Völkermords an den Juden betrifft uns Deutsche als Täter und Deutschland als Täterstaat offensichtlich, die eines Völkermords in irgendeinem afrikanischen Land grundsätzlich aber nicht – sofern sich die Opfer oder Täter nicht in großer Anzahl hier befinden, wie es etwa beim Konflikt zwischen dem türkischen Staat und den Kurden oder beim Nahostkonflikt der Fall ist. Insoweit könnte man auch die Leugnung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine für tatbestandlich geeignet halten, weil sich ja hier sowohl viele Ukrainer als auch Russen befinden. Der Gesetzgeber hätte in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeit der Äußerungen auch stärker betonen und damit den Tatbestand weiter einschränken können.

Kritiker der Gesetzesänderung befürchten, sie könnte zur Durchsetzung politischer Interessen missbraucht werden, etwa zur Einschüchterung von Gegnern der deutschen Ukraine-Politik.

Ich bin bei Kriminalisierung von Meinungsäußerungen generell skeptisch, weil ich glaube, dass der gesellschaftliche Meinungskampf grundsätzlich frei ausgetragen werden muss. Die zugrundeliegenden sozialen Konflikte werden ja nicht durch eine Kriminalisierung der geäußerten Meinungen gelöst, sondern nur aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt. Es tritt eine Art Friedhofsruhe ein, die nur an der Oberfläche sozialen Frieden vorspiegelt, in den Köpfen und Herzen der Menschen schwelt der Konflikt aber weiter. Insoweit halte ich nur die Kriminalisierung direkter Hate Speech für vertretbar, und auch da kommt es stark auf die konkrete tatbestandliche Ausgestaltung an.

Im »Interview der Woche« des Deutschlandfunk meinte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am 20. November, der neue Absatz 5 gebe »sehr, sehr hohe Hürden für die Strafverfolgung vor«, die Kritik sei deshalb »ein Sturm im Wasserglas«. Macht er es sich damit nicht etwas zu einfach?

In der Tat. Mal ganz abgesehen vom unangemessenen Verfahren, zeigen ja die Fachdiskussion und insbesondere auch die Bedenken von praktischer Seite, dass der neue Absatz 5 erhebliche Anwendungsschwierigkeiten aufwirft. Hohe Hürden? Na ja, es reicht für die Aufnahme von Ermittlungen ein Anfangsverdacht, dass ein völkerrechtliches Verbrechen – das eben nicht (gerichtlich) festgestellt sein muss – gebilligt, verharmlost oder geleugnet wird. Ein Anfangsverdacht bedeutet tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat, das ist in der Regel schon bei einer halbwegs substantiierten Anzeige gegeben.