Kalb im Kreißsaal

Benjamin Moldenhauer über gewagte und wilde Sprachkunst aus dem Hause Suhrkamp

Zugegeben, es ist schon eine Weile her: Der Roman Mein kleines Prachttier von Marieke Lucas Rijneveld erschien bereits 2021. Doch soll an dieser Stelle an ihn erinnert werden, weil seither kein neues Prosawerk von dem Autor erschien und weil das Buch seinerzeit das hiesige Feuilleton in Verzückung versetzt hat: »Reise ans Herz der Finsternis«, »Grenzen des Sagbaren ausgelotet«, »dunkle Sprache« und alles. »Provozierend«, wo nicht »unerträglich« sei der aus der Perspektive eines pädophilen Tierarztes geschriebene Text, der von der Manipulation und Vergewaltigung einer 14jährigen erzählt (Suhrkamp-Verlagsinfo: »die beiden entwickeln eine immer gefährlichere Faszination füreinander«). Alles natürlich grenzüberschreitend, und dabei, wie nahezu alles in Wort und Bild, was zur Zeit diffus verstandene Transgression verspricht, vor allem durchkalkulierte Edel-Exploitation. Vielleicht hat die Übersetzung ins Deutsche es noch ärger werden lassen. Gleich auf der ersten Seite jedenfalls finden sich Leserin und Leser im Würgegriff der Perversionen und bekommen den leider falschen Eindruck, dass man es hier mit besonders wilder und gewagter Sprachkunst zu tun hat. Statt dessen knirscht und stolpert der Text sich durch einen Metaphernwust, der Botho Strauß neidisch werden ließe: »Du lagst in jenem störrischen Sommer wie ein Kalb in Steißlage im Kreißsaal meines vergifteten Verlangens, ich war der Handlanger des Wahnsinns.« Das wäre und ist eigentlich alles nicht schlimm. Nur bleibt die Rezeption halt exemplarisch, die ganz fasziniert von all dem war und die auf 360 Seiten aufgepustete Geschichte als »verstörend«, »klaustrophobisch« und »explosiv« anpries oder gleich befand, der Roman sei ein – da war dann wohl schon alles egal – »lesenswertes Medley verschiedener Arten von Traumata«. Der Stil jedenfalls inspiriert, und mit ein bisschen Übung kann man dann auch so schreiben: Hier ein schiefes Bild, da ein gewagter Quatschvergleich, und schon ist es nicht mehr weit bis zur Literaturpreisverleihung. Bald gibt das Gehirn halt auf – »Du lagst in jenem angetrunkenen Frühling wie ein Lektor im freien Fall der Arschbombe des Dings, ich war der Grimbelfitz« –, kapituliert – »Du kurvtest in jenem renitenten Herbst wie ein Denis Scheck in der Ekstase meiner Exzesse durch des Verlangens Suhrkamp« –, legt sich schlafen und träumt – »Du wolltest in jenem Winter unseres Missvergnügens, dass einer von uns einen Roman aus der Hölle Wette verloren Preisregen«.