VON konkret

Seit vierzig Jahren liegen die gefälschten »Hitler-Tagebücher« beim Medienunternehmen Gruner und Jahr unter Verschluss. Nun hat der NDR sie im Internet veröffentlicht, und der März-Verlag hat sie, kommentiert von der Historikerin Heike B. Görtemaker und dem Politologen Hajo Funke, als Buch herausgebracht (Die echten falschen »Hitler-Tagebücher«). Der Veröffentlichung liegen Kopien zugrunde, die aus dem Nachlass der britischen Historikerin Gitta Sereny und von Anwälten stammen, die an den Verfahren im Nachgang des »größten Skandals der deutschen Mediengeschichte« (NDR.de, »Welt«, »Focus«, »Wiener Zeitung« und so weiter) beteiligt waren.

Aber was war der Skandal? Dass jemand Passagen wie diese ernst nehmen konnte? »Himmlers Meldungen über den Seuchenherd in den Judenwohngebieten in Warschau häufen sich. Soll ich mich darum auch noch kümmern?«

Nicht wirklich. Darauf fielen nur Leser/innen herein, die glauben wollten, was sie lasen: dass der Führer – so wie sie selbst – nichts von der Ermordung der europäischen Juden gewusst habe. In den Worten Hajo Funkes: »Der eigentliche Skandal besteht darin, dass der ›Stern‹ dieses von einem Fälscher aus dem rechtsextremen Milieu (Konrad Kujau, d. Red.) geschönte Hitler-Bild verbreiten wollte.« (»SZ«)

Tatsächlich ist der andauernde Skandal, dass man immer wieder so tut, als hätte es für den Befund, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft eine von Nazis für Nazis eingerichtete war, noch weitere Belege gebraucht. Dabei hätte man schon immer wissen können, dass Kujau weniger »lustiger Ganove« als ernsthafter Nazi war (wie die »neuen Recherchen des NDR belegen«, NDR.de) oder dass Redaktion und Verlag des »Stern« »wenig Haare in der NS-Suppe« finden würden (Erich Kuby). Es stand stets außer Frage, dass das Projekt, die NS-Geschichte umzuschreiben, per definitionem ein revisionistisches ist. Schon in konkret 6/83 schrieb der ehemalige »Stern«-Autor Kuby, dass der »Stern« die Absicht hatte, »der deutschen Öffentlichkeit einen hübsch verpackten, aufgehübschten Hitler unter die ohnehin nie gesäuberte deutsche Weste zu jubeln«.

Der eigentliche Skandal der Tagebücher war nicht, dass sie gefälscht waren. Der eigentliche Skandal war, dass das der Skandal war. »Welchen Wert hätten denn echte Tagebücher?«, fragte der DDR-Schriftsteller Christoph Hein in literatur konkret 1983: »Ist auch nur ein Satz von Hitler denkbar, der die geringste Korrektur der Historie erforderlich machen könnte? Er war doch kein Mörder und auch kein Massenmörder, dessen Psyche von Relevanz wäre. Das war doch – oder ist man auch da schon viel weiter bei euch – Völkermord.«

Was in der Jubiläumsaufarbeitung des Falls »Stern«/»Hitler-Tagebücher« selbstverständlich nicht thematisiert wird, sind die damaligen antikommunistischen Reflexe, die man sich gern bewahren möchte. In konkret 10/83 zitierte Hermann L. Gremliza zwei »Welt«-Autoren zum »Stern«-Malheur – erst den stellvertretenden Chefredakteur Wilfried Hertz-Eichenrode:

Nannen hat außerdem klargestellt, dass die gefälschten Tagebücher nicht aus »rechtsradikalen Kreisen« gekommen sind. Wenn das die Wahrheit ist, dann verdichtet sich die Vermutung, diese skrupellose Desinformation sei in der DDR gestartet worden, nahezu schon zur Gewissheit.

Und dann Eichenrodes Kamerad Günter Zehm, der noch einen draufgab:

Die Vermutungen verdichten sich, dass östliche Desinformationsdienste, sowjetisches KGB und die Staatssicherheit in der »DDR«, ihre Hand bei der Fälschung und Lancierung der »Hitler-Tagebücher« im Spiele gehabt haben. … Auch die Tatsache, dass es der »Stern« war, dem die Fälschungen zugespielt wurden, spricht sehr für die KGB-Connection.

Als der Würzburger Zeithistoriker Maximilian Kutzner 2021 nachwies, dass die Stasi mit den »Hitler-Tagebüchern« nichts zu tun hatte, kommentierte die »Welt«:

Selbstverständlich wäre der Stasi so ein Kalkül zuzutrauen gewesen – um der Bundesrepublik zu schaden, war Mielkes Mitarbeitern doch kein Trick zu schmutzig. Immer wieder hatten Stasi-Leute falsche »Dokumente« fabriziert, um beispielsweise 1967/68 Bundespräsident Heinrich Lübke zu diffamieren.

Zu diffamieren? Den Leiter des Barackenbaus für Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in Peenemünde und Neu Staßfurt? Als »KZ-Bauleiter«?

Letzte Meldung: Polen wird als erstes Land Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern, und zwar zunächst vier Jets des Typs MiG-29. Acht weitere sollen folgen. Auch die Slowakei will der Ukraine insgesamt 13 Kampfflugzeuge dieses Typs zur Verfügung stellen. Jörg Kronauers Text über die wachsende politische Bedeutung der Länder an der Nato-Ostflanke im Zuge des Ukraine-Kriegs hätte eine solche Bestätigung nicht nötig gehabt (siehe Seite 12).

Ab dieser Ausgabe ist konkret auch als PDF erhältlich. Ein Einzelheft kostet im In- und Ausland 6,50 Euro und kann über den Verlag bestellt werden. Ein PDF-Jahresabo ist in Arbeit.