Zum Tod von Tom Lehrer
„Es gibt kaum einen Sänger/Texter, der durch musikalische Brillanz und sarkastische Conference so sehr zu hemmungslosem Gelächter einlädt wie Tom Lehrer.“
Lehrer hatte sich schon 1973 weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen mit der Begründung, dass mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Henry Kissinger politische Satire obsolet geworden sei. Über Lehrers bösartige Lieder schrieb Gisbert Haefs in der konkret-Ausgabe 11/80.
https://www.youtube.com/watch?v=frAEmhqdLFs
Gisbert Haefs
Kein Platz für zwei Narren
Vor zehn Jahren ist der amerikanische Satiriker Tom Lehrer verstummt. Wo ist er geblieben?
Dies ist eine Art Portrait eines Mannes, von dem es kein Foto gibt. Seine Biographie ist karg und wimmelt von Angeblichkeiten. Eigentlich weiß keiner Genaues über ihn, deshalb kann man sich so gut auf sein Opus konzentrieren.
Tom Lehrer, ein amerikanischer Satiriker. Er machte in der Höhle des Publicityleu zwischen 1952 und 1969 Karriere ohne Bild, Er wurde 1928 irgendwo geboren, studierte an irgendeiner Universität irgendwelche Naturwissenschaften, machte angeblich in Harvard Examen und soll danach kurze Zeit für den US-Geheimdienst Codes de- und chiffriert haben. Ab irgendwann, heißt es, habe er in Cambridge, Massachusetts, Mathematik gelernt. Und: seit etwa 1950 (die ersten Copyrights stammen von 1952) sang er finstere Lieder aus eigener Feder. Angeblich soll ein damals noch in den USA lebender Wiener namens Kreisler zu seinen ersten Fans gehört haben. Insgesamt hinterließ er drei Langspielplatten, davon zwei in doppelter Einspielung: Studio und Live. Er machte Tourneen um den Globus und sogar bis nach Köln, und Ende der 60er verstummte er.
Sein Spektrum beginnt bei hintertückischem Nonsense (da ist die Ballade über den Mathematiker Lobatschewskij, in der Lehrer alles auf Plagiate reduziert, russische Ortsnamen mit hohem Tempo und gereimt heruntersingt und am Schluß MetroGoldwyn-Moskwa den Lehrsatz des Pythagoras unter dem Titel »Das Ewige Dreieck« verfilmen läßt, mit Doris Day als Hypothenuse; oder ein eiliger Gesang, der aus den ebenfalls gereimten Namen der chemischen Elemente besteht, sowie die verwirrende Epistel über die Mengenlehre), und es endet bei bitterbösen, trotzdem zu Gelächter ladenden Satiren auf die Welt im allgemeinen und Amerika im besonderen: ein patriotisches Marschlied für den Dritten Weltkrieg - eine Art Prä-Nostalgie -; das Lied über die Bedeutung drittklassiger Showleute wie Helen Gahagan, Ronald Reagan und George Murphy für Amerikas politische Weltgeltung; das wehmütige Heimatlied eines Südstaatlers, der seit Jahren kein gutes Lynchen mehr gesehen hat. Dazwischen tummelt Tom Lehrer seinen makabren Pegasus streitfreudig auf allen möglichen Gemeinplätzen; Tattersall ist vor allem Amerika. Ödipus als leicht übertriebene Variante der amerikanischen Mutterliebe (»he sure knew who a boy's best friend is ...«); eine »irische Ballade« über ein Mädchen, das die ganze Familie umlegt (»one day when she had nothing to do/ she cut her baby brother in two/ and served him up as an Irish Stew/ and invited the neighbours in«) und am Schluß der Polizei gegenüber alles gesteht, denn als gute Katholikin weiß man, daß Lüge Sünde ist; makabre Lieder von seltener Perfidie wie »I hold your hand in mine« (»The night you died I cut it off, I really don't know why/ so now each time I kiss it/ I get bloodstains on my tie/ I'm sorry now I killed you ... «).
Seine Werke lassen sich grob in drei Phasen gliedern, die mit seinen LPs identisch sind. Auf der ersten Platte (Songs of Tom Lehrer), laut Copyright-Angaben 1952/53 entstanden, zielt er auf die Herzensanliegen des noch heilen Amerika: Pfadfinder (»... be careful not to do/ your good deeds when there's no one watching you... don't solicit for your sister, that's not nice / unless you get a good percentage of her price... don't write naughty words on walls if you can't spell ...«); die Kleinstadtidylle mit den netten einfachen Leuten, »those super-special-just plain-folks in my home town«, die allesamt amerikanische Monster sind: der Sohn des Bürgermeisters ist Dorftrottel und Pyromane, der Mann vom Drugstore hat seine Schwiegermutter umgebracht, durch den Wolf gedreht und sprenkelt jetzt ein wenig von ihr auf jeden Banana-Split; den Wilden Westen, etwa in Nähe der Atomtestgelände (»where the scenery's attractive/ and the air is radioactive/ oh the Wild West is where I wanna be«); die Hobbyjäger - er hat zwei Wildhüter, sieben Jäger und eine Kuh erwischt; das kostete ihn die Lizenz, denn Kühe hatten Schonzeit, und einer der Jäger war nicht versichert. (Wem fällt da Baron Fircks ein, der mit Wildhütern »hätte können machen zwei Doubletten, wenn ich hätte gewußt, daß im Lettischen jetzt ist nicht Schonzeit für Domestiken«?)
Auf der zweiten Platte (»An evening wasted with Tom Lehrer«) zielt er vor allem auf den Inhalt amerikanischer Köpfe. Die Armee, befindet er, führt das demokratische Ideal konsequent durch, indem sie unterschiedliche Behandlung in jeder Hinsicht verbietet: Rasse, Glaube, Farbe und Fähigkeit. Und: es kann kaum Schöneres geben als den sonnigen, freien Sonntag, und an diesem kaum Angenehmeres, als in einem Park Tauben zu vergiften. (Dazu sind zwei Dinge zu sagen: erstens klingt »Poisoning pigeons in the park« nicht nur wegen der Alliteration wie das Original, und zweitens hat Georg Kreisler lange in Amerika gelebt: bei einem Konzert im WDR dankte Tom Lehrer »Herrn Georg Kreisler für die Verbreitung meiner Idee in den deutschsprachigen Ländern« ...)
Auf der dritten Platte schließlich (»That was the year that was«) beschießt er Amerika allgemein. Umweltverschmutzung (»the city streets are really quite a thrill/ if the hoods don't get you, the monoxide will... wear a gas-mask and a veil/ then you can breathe, long as you don't inhale«); Demokratieexport vermittels der Ledernacken (unreife Völker »got to be protected ... /till somebody we like can be elected«); die Nationale Woche der Brüderlichkeit (mit der inzwischen klassischen Strophe »the Catholics hate the Protestants... the Hindus hate the Muslims, and everbody hates the Jews« und der Moral »be nice to people who/ are inferior to you/ it's only for a week ... «)
Dazwischen, in allen Phasen, herzzerreißender Blödsinn in Musik und Text: eine Version von »Oh my darling Clementine« mit Strophen von Cole Porter, Mozart, einem Cool-Jazz-Komponisten und Gilbert & Sullivan; ein feuriges Liebeslied namens »Masochism Tango« mit der Aufforderung an die Partnerin zu gegenseitigem Verzehr und »burn your initials in my shoulder«; ein Lied über die musikalische Kommerzialisierung der katholischen Kirche »Vatican Rag« (»fiddle with your rosaries/ bow your head with great respect/ and genuflect, genuflect, genuflect... time to transsubstantiate... ave Maria/ gee it's good to see ya ...«) undsoweiter undsoweiter.
Es gibt kaum einen Sänger/Texter (der Behauptung 'Liedermacher' verweigert sich meine Schreibmaschine. Liedermacher verhalten sich zu Chansonniers wie Sargtischler zu Kunstschreinern; die Proklamation einer Verwandtschaft mit Tom Lehrer würde die hiesigen Liedermacher unerreichbaren Zielen und folglich mörderischem Leistungsdruck aussetzen), der durch Wortwitz, darunter Reimtricks wie »tragic... adjectives« oder »turn on the spiggot/ pour the beer and swig it/ and gaudeamus igit-/-tur«, musikalische Brillanz und sarkastische Conference so sehr zu hemmungslosem Gelächter einlädt wie Tom Lehrer. Und keinen, bei dem das Lachen den Zuhörern so dick im Hals stecken bleibt und unversehens ins Denken umschlägt.
Er hatte keine Rezepte. Wem alle Religionen und Ideologien lächerlich erscheinen, weil sie vermöge der Menschen nur zu neuem Streit führen, der propagiert keine neue Heilsbotschaft. Er war, auf hohem intellektuellen Niveau, ein Narr. Narren sind nicht konstruktiv; das ist nicht ihre Aufgabe. Ihre Funktion ist es, den Irrsinn der Welt zersetzend widerzuspiegeln. Ein Narr, der konstruktive Vorschläge macht, hat bereits die Sparte gewechselt und sich in die Stiefel des Helden geschmuggelt. Ein konstruktiver Narr ist ebenso widersinnig und lächerlich wie etwa eine ironische Regierung.
Als Tom Lehrer Ende der 60er Jahre verstummte, war sein Part zu Ende. Der Souverän dieses Narren, das amerikanische Volk, dem er so lange den Zerrspiegel vorgehalten hatte, war ausreichend verrückt geworden, um die Eskalation in Vietnam und die Präsidentschaft des ehrenwerten Richard Milhous Nixon hinzunehmen und durch Wählerstimmen zu stützen. Und wenn der Souverän verrückt wird, wird er zum Narren. Für zwei Narren ist aber ebenso wenig Platz auf der Bühne wie für zwei Helden. In Shakespeares »King Lear« tritt der Narr nicht mehr auf, nachdem der König selbst verrückt geworden ist und die Narrenrolle übernommen hat. Also verstummte Tom Lehrer Ende der 60er Jahre. Wenn er nicht gestorben ist, ist eine andere Erklärung nicht denkbar, denn ein so spritziger Geist kann auch ohne inneren Anlaß jederzeit weitere Programme erdenken.
Als ich vor Monaten diese Interpretation in einem Funkfeature dem WDR übereignete, wußten wir (der modeste Plural schließt den ausgezeichnet schätzenswerten Redakteur ein) nichts über Tom Lehrer. Damals schrieb ich, für die Welt sei es gleich, ob er gestorben sei oder nicht, denn seine Narrenrolle hatte er bis zum Ende ausgefüllt. Inzwischen war zu erfahren, daß Tom Lehrer noch lebt: Er doziert Mathematik an der Yale-University. Seit seinem Verstummen damals ist aber vom Narren nichts Neues zu vermelden.
»Fools had ne'er less grace in a year; for wise men are grown foppish ... «
»'s ist schwere Zeit für Narren heut, denn Weise werden tappisch ...«
(Shakespeare, »King Lear«, I 4, 182-183)
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