Prost Abendmahlzeit - Zu Friedrich Schorlemmers Tod

Der DDR-Dissident und Gottesknecht Friedrich Schorlemmer verstarb am vergangenen Sonntag im gesegneten Alter von 80 Jahren. »Seine letzten Worte müssen eines Tages in den Nachrichten an erster Stelle zitiert werden«, forderte Gerhard Henschel in konkret 7/93. Doch finden sich letzte Worte in den nun Schorlemmervollen Schlagzeilen weder an erster noch an irgendeiner Stelle. Und auch in den »Tagesthemen« wurde leider nie, wie Henschel gern gesehen hätte, vorgeführt, wie Schorlemmer »heimlich Crack knabbert, Tinte trinkt und Kakao predigt.« Schade. 

Hinter den Erfolg bei Evangelischen Kirchentagen hat der liebe Gott den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gesetzt. 1993 soll ihn Friedrich Schorlemmer erhalten. Eine Gratulation von Gerhard Henschel 

Friedrich Schorlemmer boomt. Kaum ein Tag vergeht, ohne daß uns Sprüche, Bilder, Betrachtungen und treuherzige Augenaufschläge jenes Wittenberger Wunderheilers erreichen, der nicht nur die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte eingesteckt hat, sondern nun auch noch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen soll.  

1983 ließ Schorlemmer in Wittenberg demonstrativ ein Schwert zur Pflugschar schmieden. Friedensliebe, Herzensgüte, Zivilcourage, Familiensinn, Edelmut und züngelnde Lieblichkeit waren von jeher Schorlemmers bevorzugte Tugenden. Je kleiner er sich macht, desto größer kommt er heraus, und seine letzten Worte müssen eines Tages in den Nachrichten an erster Stelle zitiert werden. Denn Friedrich Schorlemmer ist alert und konsensfähig, ein Allgemeinplatzanweiser und Nächstenliebhaber, wie er im Buch der Bücher steht. Kein Gedankenflug ist ihm zu niedrig, kein Holzweg zu weit und kein Forum zu doof, wenn es darum geht, die frohe Botschaft zu übermitteln, die besagt, daß Schorlemmer von seinem Himmelsritt die Liebe mitbringt.  

»Die großen christlichen Feste feiern Wunder, etwas Wunderbares, das die Welt verwandelt«, jubelte er jüngst zu Pfingsten im »Tagesspiegel« und setzte gleich noch einen drauf: »Pfingsten ist der euphorische Moment der Einheit mitten im Alltag unserer Unterschiedenheit. Das Wunder der Verständigung als das Gegenbild zur babylonischen Sprachverwirrung. Das wird gleichzeitig zur Gründungsversammlung der Kirche als einer internationalen Bewegung. Darüber hinaus wird ›Geistesgegenwart‹ Jesu im ›Tröster‹ dem Heiligen Geist zugesprochen. Und schließlich ist Pfingsten das christliche Frühlings-Schöpfungsfest, die Preisung des Maien-Zaubers.«  

Während dieser Quatsch gedruckt wurde, schlugen in Solingen die Flammen hoch. Aber auch dazu hat der Pastor sicherlich schon Missionarsstellung genommen. Das Scheußlichste an evangelischen Pappnasen wie Schorlemmer ist ihr Bestreben, jeden Dreck mit dem faulen Maien-Zauber ihres Aberglaubens in Gold zu verwandeln. »Sind wir noch für Wunder offen? Pfingsten ist das Wunder der Verständigung; Wunder sind selten, sonst wären es keine Wunder. Wunder wollen gefeiert werden.«  

Es muß Menschen geben, die es entzückt, sich solchen Kunsthonig um den Bart streichen zu lassen; anders ist der Schorlemmer-Boom nicht zu erklären. Daß das Gute in der Welt nicht automatisch Junge kriegt, wenn ein Sektenprediger in Wittenberg die Völkerverständigung, die Geistesgegenwart Jesu, alle Neune, den Weißen Riesen, den Heiligen Geist und Daniel Düsentrieb beschwört, scheint sich immer noch nicht bis zum letzten Friedenspreisjuror herumgesprochen zu haben. Mit Simsalabim und Abrakadabra stellt Friedrich Schorlemmer dem Bösen nach und wird gefeiert und ausgezeichnet, denn er tut allen wohl und keinem weh.

»Mit Händen und Füßen verständigen wir uns. Das ist erfreulich und baut Beziehungen auf. Um so schmerzlicher ist es, wenn wir uns statt dessen immer wieder ›mit Fäusten und Knobelbechern‹ Beziehungsabbruch, Verständigungscrash demonstrieren.« Die Verständigungscrash-Karambolagen in Rostock, Hünxe, Hoyerswerda, Mölln und Solingen waren schließlich schmerzlich genug; wenn schon nicht für den deutschen Volkskörper, dann doch bestimmt für die Opfer und für Friedrich Schorlemmer, der dem »FAZ-Magazin« verriet, daß er im kühlen Grunde am liebsten ein »Rosenstrauch« sein möchte. Er liebt uns, er liebt uns nicht, er liebt uns...  

»Eine Einheit im Geist braucht auch die Einheit im Leib. Aber erstere ist Voraussetzung für letztere, wenn denn Einheit nicht bloß ein gegenseitiges Zweckbündnis sein soll. Der Geist Gottes transzendiert unsere Zweckbündnisse und ermöglicht grundlegende Verständigung, die in konkreten Konflikten der Praxis erhalten bleibt.« Mit der Einheit im Leib, der Höhensonne im Herzen und Transzendenzphantasien im Geist ist Friedrich Schorlemmer unermüdlich unterwegs als Trostpflasterkasten und Knallkopf. Was ihn umtreibt, ist »die gewisse Erwartung eines Beistandes, eines unverfügbaren Trostes«. Die Unverfügbarkeit rückt den Trost in eine rhetorische Sphäre, die zuvor wohl nur die Unhintergehbarkeit des Traumes vom Schlaraffenland durchmessen hat. Wäre es aber, im Sinne der Aufklärung über den Charakter des Menschen, nicht hilfreich, Friedrich Schorlemmers quälend keimfreies Katechumenen-Image zu trüben?  

Der gleich nach Jesus und Schorlemmer drittbeste Mensch der Weltgeschichte, Björn Engholm, ist immerhin der Lüge überführt worden. Ein dazu passendes Schorlemmer-Showdownszenario könnte uns nun gerade noch einmal rechtzeitig vor Schorlemmers Himmelfahrt und Heiligsprechung zeigen, wie unser Friedenspreisempfänger lügt, betrügt, schal ehebricht, wildfremde Götter neben Gott hat und sich ein Bildnis macht. Ach, man sieht den Buben doch förmlich vor sich, wie er in böser Absicht Veits tanzt, Kaugummiautomaten zerlegt, sich nicht die Zähne putzt, den Menschen verachtet, ins Kirchenschiff koffert, Engel ohrfeigt und die Einheit im Leib mit seines Nächsten Weib herbeiführt. Der »Stern« könnte ein Foto publizieren, das uns zeigt, wie Friedrich Schorlemmer Jungrobben jagt und Wale würgt, und in den »Tagesthemen« müßte vorgeführt werden, wie er heimlich Crack knabbert, Tinte trinkt und Kakao predigt. So entsetzlich gut und ungeil, wie er sich geriert, kann er überhaupt nicht sein. Wetten möchte man darauf abschließen, daß Schorlemmer im Grunde ein geriebener Haderlump sei, ein spritzender Giftzwerg und Gierschlund, daß er Bierleichen im Klosterkeller habe und stockende Sportsflecken auf der weißen Weste, ja, daß er nachts die Fäuste ballt, die Knobelbecher schnürt und in den Gassen Wittenbergs inkognito den verblüfften Passanten Beziehungsabbruch und Verständigungs-Crash demonstriert.  

Leider funktioniert die Heilsgeschichte anders. In Wirklichkeit sitzt Friedrich Schorlemmer wahrscheinlich gerade auf seiner Terrasse unterm härenen Sonnenschirm, läßt sich den Sommerwind über den Beinflaum streichen, saugt O-Saft ein und exzerpiert das Neue Testament. Menschenverachtung, Zynismus, Frauenfeindlichkeit und fleischliche Begierden müssen dabei verdorren. Nun klingelt das Telefon. Am Apparat ist Eugen Drewermann. Er bereitet einen rororo-aktuell-Reader mit Antworten auf die Frage vor, ob es statthaft sei, die Leiche des lieben Gottes von der Intensivstation auf den Friedhof zu verlegen. Schorlemmer verneint die Frage spontan und erklärt sich bereit, seine Antwort zwölf Druckseiten lang auszuwalzen. Eugen Drewermann freut sich. Udo Lindenberg, Peter Härtling, Wolf Biermann, Walter Jens, Margarete Mitscherlich, Dorothee Sölle und Antje Vollmer hätten auch schon zugesagt, ruft er fröhlich, und Friedrich Schorlemmer gießt sich vor Begeisterung einen halben Liter O-Saft über den Talar. Der euphorische Moment der Einheit mitten im Alltag unserer Unterschiedenheit hat ihn breitseits erwischt.  

»Schorle, komm rein, Essen ist fertig!« ruft’s nun aus dem Haus.  

»Was?«  

»Abendmahl! Happa-happa!«  

»Ich komm ja schon! Sehen Sie«, sagt Schorle, wringt den Talar aus und lächelt uns wissend an, »das war das Wunder der Verständigung als das Gegenbild zur babylonischen Sprachverwirrung!«  

Es gibt gebratene Friedenstaube, Leib-Christi-Schaschlik, eine gewaltfrei gekelterte Schorle Meßwein und zum Nachtisch Oblaten. Da wollen wir nicht weiter stören.