Rubbel die Katz!

Es bleibt kompliziert mit der befreiten Pornografie. Von Katrin Hildebrand

Es ist schon ein paar Jahre her, da war ich auf Fortbildung in einer Schwulensauna. Die Sauna wurde gerade geputzt, war nicht offiziell offen. Ansonsten wären wir Fortzubildenden, darunter vor allem Frauen, nicht eingelassen worden. Voller Stolz stellte uns der Saunachef die riesige Anlage mit allen Vergnügungselementen vor. Die meisten waren hochinteressiert, fanden die Einrichtung spannend und stellten viele Fragen. Eine davon lautete: »Gibt es so etwas hier in der Stadt auch für Frauen?« Worauf der Chef erklärte: »Nein.« Und dann hinzufügte: »Wissen Sie, die weibliche Sexualität ist nach innen gewandt, die männliche nach außen.« Frauen seien eben nicht so sexuell, daher brauche es auch keine Sauna, in der neben den üblichen Hitzekammern viel Platz für Lust, Sex und Erotik sei.

Sex ist männlich definiert. Männer wollen es, Frauen erdulden es. Männer sind aktiv, Frauen passiv. So zumindest will und lehrt es das Patriarchat. Bedingt durch dessen Primat wird noch viel zu selten überlegt, ob sich Sexualität nicht in anderen Kategorien denken ließe. Die Logik des Patriarchats hält sich – bis auf wenige progressive Zirkel, die zwar Einfluss ausüben, aber doch von der Masse nicht gehört werden – in ihren tiefsten Grundprinzipien auch dort, wo Menschen vordergründig ein halbwegs gleichberechtigtes Leben zu führen scheinen. Da es sich in der Pornographie qua definitionem immer irgendwie um Sex dreht, ist natürlich auch sie männlich konnotiert. In diesem Universum aus lüsternen Herren, wilden Stechern und notgeilen Böcken auf der einen, Frauen, die angeblich nur kuscheln und Kinder wollen oder komplett verdorben sind, auf der anderen Seite bleibt die Frage nach einer Pornographie jenseits patriarchaler Strukturen noch immer frech. Denn der Kapitalismus, der in der Pornowelt ebenso herrscht wie an der Börse oder beim Handel mit Stiefelwichse, produziert, was dominiert: und das ist weltweit noch immer die Herrschaft des männlich Gelesenen über das Weibliche und sämtliche anderen Geschlechter. Selbst manch schwule Menschen halten die Dichotomie zwischen männlicher Hypersexualität und weiblichem Desinteresse aufrecht und reproduzieren Kategorien wie aktiv und passiv mit teilweise fast noch größerem Elan als Heteros. Wen wundert es da noch, dass der Claim nach feministischer Pornografie vielen Menschen absurd, ja gar unmöglich erscheint?

In den Achtzigern lasen sich die frauenrechtlerischen Positionen dazu denn auch ganz anders als heute. Zahlreiche Feministinnen kämpften für ein Verbot von bildlicher Darstellung sexueller Handlungen. Eine von ihnen, Katharine MacKinnon, urteilte: »Aus feministischer Sicht ist Pornografie eine Form von erzwungenem Sex, eine Praxis der Sexualpolitik und eine Institution der Geschlechterungleichheit.« Sie engagierte sich wie ihre Kollegin Andrea Dworkin und in Deutschland Alice Schwarzer für ein Verbot der bildlichen und filmischen Darstellung von Geschlechtsverkehr zum Publikumsvergnügen. Auch wenn MacKinnons Vorwurf von erzwungenem Sex vieldeutig ist (meint er Vergewaltigung, Zwangssexarbeit oder doch eher den Umstand, dass Frauen in einer Männerwelt tendenziell eher vor laufenden Kameras zu stöhnen haben, als Präsidentin der USA zu werden?) und sicher nicht auf die ganze Branche zutraf, waren viele Filme und Darstellungen primär an ein männliches Publikum gerichtet – und zeigten das, was heterosexuelle Männer »eben so wollen«. Und zwar in verschiedenen Härtestufen.

Der Markt bedient die Nachfrage. Er hat sich mittlerweile zwar irgendwie geändert, aber die männliche Dominanz bleibt bestehen. Rudolf Stark, Professor für Psychotherapie in Gießen, geht in einem Gespräch mit dem »Focus« davon aus, dass in Deutschland, dem Pornoland schlechthin (laut Techniker-Krankenkasse sorgt Deutschland für 12,4 Prozent des weltweiten Porno-Traffics im Internet, während der globale Länderdurchschnitt bei 7,7 Prozent liege), drei bis fünf Prozent der Herren pornosüchtig seien, aber weniger als ein Prozent der Frauen. Er schätzt, dass etwa 90 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen in Deutschland zumindest gelegentlich Pornografie konsumieren. Und wenn Männer in einer immer noch dominant patriarchalen Welt und Gesellschaft als Konsumenten den Markt indirekt prägen, muss – so legt es zumindest die Theorie nahe – der männliche Blick innerhalb einer nur in Ansätzen emanzipierten Gesellschaft auch die Subtexte der Sexfilme prägen.

Das zeigt auch der Blick in ein wahllos angeklicktes Video des kanadischen Online-Porno-Anbieters »Bellesa«. Im Jahr 2017 von einer Frau gegründet, richtet sich die Website angeblich vor allem an Konsumentinnen. »Bellesa« findet, »dass Sexualität im Internet Frauen so darstellen sollte, wie wir wirklich sind – als lustvolle Subjekte, nicht als Objekte einer Unterwerfung«. In besagtem Video geht es nun auch nicht, wie die feministischen Pornogegnerinnen der Achtziger anprangerten, zwangvoll zu. Doch auch dort werden (heterosexuelle) Stereotype reproduziert: Zunächst werden Frau und Mann getrennt voneinander befragt. Dann wartet die Frau im Bett, bis der Mann als aktiver Part in ihr Zimmer tritt. Sie liegt meistens unter ihm, stöhnt deutlich mehr als er, mit hoher, süßer Stimme, während er vokal allenfalls den brünftigen Hirschen gibt und – das ist eigentlich der größte Erotik-Skandal – anfangs sogar seine Schuhe im Bett anbehält. Alles kein Drama, aber eben ein Abbild einer nur teilemanzipierten modernen Großstadtwelt. Die Webseite »Porn Better«, die sich explizit für feministischen, diversen, ethisch produzierten Porno einsetzt, urteilt über »Bellesa« relativ eindeutig: »Die Darstellenden sind hell ausgeleuchtet, die Frauen jung und normschön, die männlichen Darsteller oft deutlich älter. Die Beschreibungen der Filme und Performer sind teils rassistisch, und die Kategorie ›Queer‹ scheint eher ein heterosexuelles Publikum im Blick zu haben.«

Das klingt nicht nach dem großen Durchbruch im Kampf für eine libidinös befreite Gesellschaft, die die Basis einer egalitäreren Pornografie bilden könnte. Die Objektifizierung bestimmter Menschengruppen (im Gros jene, die auch außerhalb des Sexlebens diskriminiert werden) herrscht also selbst im Hochglanz-Frauenporno noch irgendwie vor. Zu dieser Erkenntnis kamen auch Niki Fritz und Bryant Paul von der Indiana University: Sie haben im Jahr 2017 die Ergebnisse einer kleinen Studie veröffentlicht. Darin untersuchten sie 300 Sexfilm-Szenen danach, wie stark Frauen objektifiziert werden. Dabei verglichen sie Mainstream-Pornos mit speziell für Frauen produzierten sowie sich explizit als feministisch bezeichnenden Streifen. Dabei fanden sie in allen drei Kategorien »gender gaps« in der Darstellung; am meisten davon freilich im Mainstream-Bereich. Am besten kam, wen wundert’s, die explizit (queer-)feministische Pornografie davon. By the way: In einem Essay aus dem Jahr 2020 fanden Fritz und Paul gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen heraus, dass gegenüber schwarzen Frauen am meisten Gewalt im Porno ausgeübt wird, am allermeisten, wenn der Sexpartner ein weißer Kerl ist.

Die Ansätze der all diesem diskriminierenden Treiben entgegengewandten (queer-)feministischen Pornografie tauchen immer häufiger in den Debatten auf, wenn sie auch den weltweiten Markt nicht dominiert. In Deutschland propagiert wird sie unter anderen von der Darstellerin, Regisseurin und Aktivistin Paulita Pappel in ihrem Buch »Porno Positiv«, der Crew des feministischen »PorYes«-Awards oder eben »Porn Better«: In den Pornos dieser Website müssen entsprechende Darstellungen legal und stets im Konsens aller Beteiligten entstanden sein. Faire Löhne und Arbeitsbedingungen, Diversität und Sicherheit am Set sowie ein seriöser, wenig reißerischer Umgang mit den Usern sind Pflicht. Keinesfalls stattfinden sollte jedwede Stereotypisierung und Fetischisierung von Menschengruppen. Pappel geht in ihrer Schrift noch weiter: Sie träumt von einer Gesellschaft, die »starre Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sexualität« hinter sich lasse. Mit dieser Vision verbunden ist freilich die ideologische Negation eines jeden Biologismus. Denn solange Männer als apriorisch lüsterne und stark durch den Trieb geleitete Wilderer, Frauen weiter als Beute gelten und niemals sexuell frei leben können, werden sich die Dichotomien in den Köpfen niemals auflösen. »In einer patriarchalen Vergewaltigungskultur«, urteilt Pappel, »wird Frauen ein aus ihnen selbst kommender Sexualtrieb abgesprochen«: Damit dreht sie die Weltsicht der Anti-Porno-Feministinnen gewissermaßen um. Während diese den Mann – über die reale Vergewaltigungskultur hinaus – zu einem apriorisch notgeilen »Maniac« machten, den männlichen Penis-Vagina-Firlevanz zum Inbegriff des Geschlechtsakts erklärten und die Frau zu einem alibidinösen Opfer, betonen pornopositive Aktivistinnen nun die Lust aller benachteiligten Geschlechter: die Lust als Ermächtigungsprinzip. Doch bis sie siegen kann, braucht es aggressive Gefechte und Revolutionen. Geschenkt gibt es das nicht.

Markt und Gesellschaft sind noch lange nicht so weit, feministische Pornografie zum Mainstream zu machen. Aktuell gibt es Entwicklungen, die anderes befürchten lassen: Laut Internet Watch Foundation gelingt es Menschen mittlerweile mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, Unmengen von kinderpornografischem Bildmaterial herzustellen. Das funktioniert natürlich genauso mit anderem pornografischem Material. Dem diversen, auf Einverständnis basierenden, wie dem rassistischen, sexistischen, queerfeindlichen oder antisemitischen Stoff.

Eine advocata diaboli könnte in Anbetracht dieser schwierigen Lage fordern, dass nur mehr eine diktatorische Rosskur helfe: Über einen gewissen Zeitraum dürften nur noch Darstellungen von wilden, freien, lüsternen und vor allem dominanten Frauen und Queer People kursieren, um die heterosexuelle Männlichkeit nach Jahrtausenden in ihre Schranken zu weisen. Eine erotische Prügelorgie gegen den Phallozentrismus gewissermaßen. Das allerdings wäre vermutlich ähnlich unsinnig, wie alle »Kapitalisten« erst mal 20 Jahre in Salzbergwerken schuften zu lassen, statt die befreite Gesellschaft zu etablieren. Eine vielleicht befriedigendere Variante wäre es, einen Film zu zeigen, beim dem eine Frau nach dem Sex neben dem Mann liegt und immer wieder onaniert, um ihm zu zeigen, dass sie multiple Orgasmen haben kann – er aber nicht. Einfach, um dem Patriarchat eins reinzuwürgen. 

Katrin Hildebrand schrieb in konkret 5/23 über das Buch Der Allesfresser