Heim ins Silicon Reich

»Wir werden alle sterben – und zwar wahrscheinlich auf schrecklichste Weise. Aber zumindest können wir darüber lachen, wie komplett behämmert es ist, von einer Gruppe Kindsmänner getötet zu werden, die einen Internetfrosch anbeten.«
Elisabeth Sandifer: Neoreaction a Basilisk. Essays on and around the Alt-Right

Haha, witzig, witzig: Ein paar Big- und Fin-Tech-Unternehmer und ihre superreichen Bros hatten beim Self-Enhancement mit lustigen Pülverchen auf irgendeiner Richy-Rich-Party eine geniale Idee, und der Rest der Welt muss es mal wieder ausbaden.

Als wäre die Übernahme von Twitter durch Elon Musk nicht bereits belastend genug. Diesmal: die »Enhanced Games«, »Erweiterte Spiele« – eine Art Future-Olympia, bei dem Doping nicht regelwidrig, sondern ausdrücklich erwünscht ist. Alle sollen sich alles reinballern dürfen und dann in den Disziplinen Leichtathletik, Wassersport, Gymnastik, Kampf- und Kraftsport gegeneinander antreten. Wer einen Weltrekord bricht, soll eine Million Dollar gewinnen. Ein paar ehemalige Olympioniken, wie der australische Schwimmer James Magnussen, haben bereits zugesagt, sich für die Enhanced Games »bis zu den Kiemen vollsaften« (»juice to the gills«) zu lassen. Wer die geniale US-Fernsehserie »The Boys« gesehen hat, in der Normalos durch Enhancement mit dem Stoff »Compound V« zu zweifelhaften Superhelden, sogenannten »Supes« werden, muss unweigerlich an den rückgratlosen Fischmenschen »The Deep« denken, der gerne auch mal Sex mit Oktopussen hat. Klar, dass die Medienwelt seit einem Jahr auf den Enhanced Games abschmiert, ihre Macher (gendern nicht nötig) interviewt und mit nützlichen Idioten die neueste gedankliche Arschgeburt von Start-up-Geilianern weltweit bewirbt. 

Und zugegeben: Es werfe den ersten mit Käsesauce enhancten Mais-Chip, wer nicht gerne sehen wollen würde, wie sich menschgewordene Steroide mit Laseraugen gegenseitig pulverisieren. Doch keine zehn Sekunden Kopfkino später ist klar: Wenn’s von Männern aus der Kapitalismuskirche kommt, kann’s eigentlich nur Dreck sein. Schade. Dabei hat der Initiator der Enhanced Games, der australische Unternehmer Aron D’Souza (Ende 30), doch sein ganzes Leben lang schon »gegen Korruption und das Böse« gekämpft und will jetzt mit den Enhanced Games »in die nächste Schlacht« gegen das »heuchlerische, korrupte und dysfunktionale« International Olympic Committee (IOC) und die Welt-Anti-Doping-Agentur ziehen. Ganz im Sinne der Wissenschaft! Wurde nicht schon in den Arenen der Antike mit irgendwelchen Wurzeln und Wässerchen gedopt? Ist es nicht ein offenes Geheimnis, dass auch heute, trotz endloser Listen verbotener Substanzen, gedopt wird? Also her mit den Drogen, äh, der Science, biiitch! Hat er doch recht mit seinem Rant gegen das IOC, dessen Chef gerne mit Diktatoren diniert, während ehemalige Olympioniken regelmäßig in der Altersarmut landen. Die Olympischen Spiele sind der letzte neoliberale Rotz. Das Problem ist nur: D’Souza will sie mit noch mehr Rotz bekämpfen. 

Für D’Souza sind die Enhanced Games die ultimative »Verneigung vor der Wissenschaft«, »ein wahrhaft humanistisches Spektakel, das der Menschheit zu voller Blüte verhilft«. Und als wäre der Rekurs auf »die Wissenschaft« nicht schon irre genug, um Experimente an Menschen zu rechtfertigen (Dr. Mengele lässt grüßen), packen D’Souza und sein Team auch gleich noch Woke- und Queerwashing obendrauf, um sich als Verbündete der schwarzen und LGBTQIA+-Community zu inszenieren. »Doping« sei eine kolonialistische Beleidigung gegen Schwarze und eine »enhanced« Bevölkerung und müsse aus dem Wortschatz entfernt werden. Auf einer weiteren Unterseite empowern D’Souza et al. geneigte Erweiterte to »come out as enhanced« – eine Anspielung auf Coming-outs in der LGBTQIA+-Community – um sich öffentlich zu ihrem »body enhancement«, also ihren pharmakologisch und chirurgisch alternierten Körpern zu bekennen. »My body, my choice« eben – ganz im Sinne des feministischen Slogan für körperliche Autonomie, der vor allem gegen Abtreibungsverbote skandiert wird. Um ihr Wokewashing zu perfektionieren und die Enhanced Games als Inklusions- und Gleichberechtigungsveranstaltung zu verkaufen, bedanken sich die Spielemacher dann auch gleich noch bei der LGBTQIA+-Community für ihren »mutigen Kampf für Inklusion und Gleichberechtigung« und wünschen allen Menschen, die Diskriminierung und Hate Speech erfahren haben, die Stärke, sich zusammenzuschließen und für das einzustehen, »was richtig ist«.Richtig ist es für D’Souza etwa, sich die Enhanced Games von superreichen, neoreaktionären Techno-Monarchisten und Crypto-Ghouls finanzieren zu lassen, die die Uhr vor die Französische Revolution zurückdrehen, sich das Blut von Jugendlichen spritzen, Mammuts wieder zum Leben erwecken und Inselstaaten mit ihnen als Staats-CEOs gründen möchten. Ein Blick in die Riege der Investoren der Enhanced Games, und ein »what the fuck« reiht sich an das nächste, bis sich die einzelnen »what the fucks« zu einem riesigen »fucking hell« zusammensetzen: Die Enhanced Games sind nichts anderes als das öffentlichkeitswirksame Versuchslabor von milliardenschweren Tech-Faschisten aus dem ideologischen Umfeld der Neoreaktionären Bewegung (NRx) und ihrer Ideengeber, des britischen Akzelerationismus-Philosophen Nick Land und des kalifornischen Softwareentwicklers und Bloggers Curtis »Mencius Moldbug« Yarvin. Sie sind die Helden einer selbsternannten »neoreaktionären« Avantgarde der »dunklen Aufklärung«, die bis in einflussreiche Tech-Kreise im Silicon Valley reicht. Wie passt das zusammen mit Wokeytokey hier, Blacklivesmattering da und Superfreiheit überall?

Sind die Neoreaktionäre doch gegen das Wahlrecht, Gleichberechtigung und Pluralismus. Sie glauben, dass Freiheit und Demokratie nicht miteinander vereinbar sind und die Welt ein besserer Ort wäre, wenn sie wie ein Start-up-Unternehmen hierarchisch von einem einzigen CEO geführt würde. Wie ihr geistiger Führer Nick Land bewundern sie chinesische Eugeniker und träumen von der bevorstehenden Weltmachtübernahme durch »autistische Nerds«, da nur diese in der Lage wären, effektiv an den fortschrittlichen technologischen Prozessen der Schwellenländer mitzuwirken. Es sind meist junge weiße Männer, die sich fühlen wie Keanu Reeves in »Matrix« und glauben, durch die Erleuchtungen von Land und Yarvin »redpilled«, also ins Backend der Wirklichkeit geführt worden zu sein. Klare Sache, dass ihnen in ihrer Techno-»Manosphere« natürlich auch »politische Korrektheit« und Feminismus auf den Sack gehen. Weiter ins Hasenloch von Nick Land – der sich zeitweise in eine drogeninduzierte Psychose philosophierte – und seinen komplett wahnsinnigen, nihilistisch-posthumanistischen Informationskapitalismus hinabzusteigen und zu erklären, wie sein Irrsinn mit dem von Software-Fascho Yarvin zusammenhängt, der sich vor zweieinhalb Jahren in Tucker Carlsons »Tonight«-Show einem Mainstream-Publikum präsentieren konnte, würde den Rahmen sprengen. 

Wichtig ist: Diese beiden Figuren haben eine giftige Blase geschaffen, in der seit mehr als zehn Jahren nicht nur irgendwelche mittellosen Incels und frustrierten Nerds ihre Allmachtsfantasien befriedigen, sondern auch gut vernetzte Milliardäre ihr faschokalyptisches Süppchen kochen und in Projekte wie die Enhanced Games investieren – eine gute Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam möglichst viele, vor allem junge Männer, mit ihrem Hirnbrand zu infizieren. Da wäre etwa Balaji Srinivasan, indisch-amerikanischer Tech-Investor, der vor ein paar Jahren sein Unternehmen für DNA-Tests für 375 Millionen Dollar verkaufte und seitdem mit Kryptogeschäften und dem Verkauf weiterer Tech-Firmen noch reicher wird. In einer sezessionistischen Rede agitierte er 2013 für eine Gesellschaft, die vom Silicon Valley autokratisch geführt wird und sich jeder Regulierung widersetzt. Dabei ließ er alle Schlüsselworte und -gedanken aus dem neoreaktionären Fantasy-Land fallen, ohne Yarvin explizit zu erwähnen. Rechtes Dogwhistling wie aus dem Lehrbuch.

Über Srinivasan führt eine direkte Linie zu einem weiteren Investor der Enhanced Games: dem deutsch-amerikanischen Facebook-Milliardär, Tech-Investor und Silicon-Valley-Overlord Peter Thiel. Er gründete unter anderem Paypal und die internationale Big-Data-Krake Palantir Technologies – ein Unternehmen, das die CIA, das FBI, die US Air Force, die NSA, Europol, die deutsche Polizei sowie Konzerne wie Airbus zu ihren Kunden zählt. Auch Thiel kommt aus dem ideologischen Umfeld der NRx, spendete rund 50 Millionen Dollar an politische Kandidaten der Alt-Right und verhalf Donald Trump zur Präsidentschaft. Im Jahr 2012 hielt er in Stanford einen Vortrag, in dem er Yarvins feuchten Traum einer von Silicon-Valley-CEOs (die er für Erben mythischer »Gottkönige« wie Romulus erachtet) geführten Techno-Monarchie vortrug. Er würde es zwar nicht direkt so nennen, da die Menschen mit Begriffen wie »Monarchie« fremdeln würden. Aber die Wahrheit sei einfach, dass Start-ups und Gründer deshalb zur Diktatur neigten, weil sie einfach besser funktioniere. Wie Yarvin ist auch Thiel der Überzeugung, dass die Menschheit ihre »Diktatorenphobie« ablegen müsse, um einzusehen, dass die Weltherrschaft der CEOs die einzig vernünftige Gesellschaftsform sei. Now guess what: Selbstverständlich investierte Thiel bereits viel Geld in Unternehmen von Srinivasan und Yarvin. Und um aus dem Kaninchenloch der superreichen Neoreaktionäre auch in Österreich mal kurz den Kopf zu stecken: Zufällig arbeitet der österreichische Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seit rund zwei Jahren als Berater in der Anlagefirma von Thiel. 

Aber zurück zum Möchtegern-CEO-of-CEOs der Erde, Peter Thiel: Schon vor Paypal – das er eigentlich mal als neue Weltwährung einführen wollte, frei von staatlicher Kontrolle – gründete er die rechtsextreme Studentenzeitung »The Stanford Review« mit Kohle von Irving Kristol – dem »Godfather« (»The New York Times«) des Neo-konservativismus – und schrieb das Buch The Diversity Myth, in dem er sich mit seinem Co-Autor über Multikulturalismus als Angriff auf die westliche Zivilisation auslässt und erklärt, dass die literarischen Werke von Frauen und Minderheiten Schrott seien. Eigenen Aussagen zufolge will er Mammuts aus der Eiszeit zurückholen, sich das Blut von Teenagern zur Selbstverjüngung spritzen lassen und hat sich bereits einen Kryo-Tank gesichert, um nach seinem Ableben eingefroren und wiederbelebt zu werden, sobald die Menschheit den Tod überwunden hat. Dass Thiel schwul ist, tut nur insofern etwas zur Sache, als dass er sich in einem spektakulären Rechtsfall an dem zum »Gawker«-Trash-Imperium gehörenden Silicon-Valley-Klatschblog »Valleywag« rächte, das ihn 2007 als homosexuell outete. Als im Jahr 2016 ein heimlich gedrehtes Sextape der US-amerikanischen Wrestling-Legende Hulk Hogan auf »Gawker« geleakt wurde und Hogan das Unternehmen daraufhin verklagte, klinkte sich Thiel plötzlich ein und unterstützte Hogan mit zehn Millionen US-Dollar für eine eigens gegründete Anwaltsfirma – ganz nach einem alten klingonischen Sprichwort: »Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.« Der »Gawker« verlor den Fall, musste 140 Millionen Dollar Entschädigung an Hogan zahlen und ging daraufhin pleite. Wie Thiel auf die Idee kam? Ganz einfach: Sein Businesspartner und Kumpel Aron D’Souza gab ihm den Tip. Ein Krypto-Ghoul hackt dem anderen eben kein Auge aus.

Und als wäre das nicht alles schon genug Stoff für eine ganze Science-Fiction-Serie über reiche Spinner, die die Welt in ein Start-up verwandeln möchten, ist da zu allem Überfluss noch der Milliardär Christian Angermayer: deutscher Tech-Investor und ehemaliger selbsternannter »Advisor to Chancellor Merkel« mit besten Kontakten in die deutsche Politik und einem Milliarden-Imperium, das Beteiligungen an zahlreichen Rohstoff-, Raumfahrt-, Krypto- und Pharmafirmen hat. Bereits im Juni 2016 saß er zusammen mit seinem Freund Peter Thiel bei Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Jens Spahn (CDU) im Büro, um über den »Innovations- und Investitionsstandort Deutschland« zu quatschen. Alte Reaktionäre treffen auf Neoreaktionäre. Angermayer hält sich zwar eher bedeckt, was seine politischen Ansichten betrifft. Seine Motivation für eine Investition in die Übermenschen-Festspiele von D’Souza dürfte sich jedoch wenig von den egalitären Machtansprüchen der Silicon-Valley-Reichsführer unterscheiden, die stets so tun, als handelte es sich bei ihrer Giftmischerei um selbstlose Investments ins Allgemeinwohl. So mutieren die Enhanced Games für ihre Macher zu einer wunderbaren Showcase-Veranstaltung ihrer neoreaktionären Utopie im Gewand futuristischen Wellfares.

Kleiner Spoiler: In der eingangs erwähnten genialen Fernseh-serie »The Boys« werden Menschen mit Hilfe der Wissenschaft zu Superhelden gespritzt, die einem Milliardenunternehmen angehören und vorgeblich die amerikanische Gesellschaft mit ihren Superkräften vor »dem Bösen« beschützen sollen. Besoffen von ihrer übermenschlichen Macht und vom Geld werden die meisten von ihnen jedoch selbst »das Böse« und töten alles, was ihnen im Weg steht. Am Ende steht der ultimative Kampf Menschheit gegen »Supes«. Wer ihn gewinnt, klärt hoffentlich die kommende Staffel im Juni. Bis dahin bleibt zu konstatieren: Die Menschheit ist vorerst im Arsch. Denn wenn Thiel, D’Souza, Angermayer und Srinivasan eines richtig tun, dann ist es, klarzustellen, dass die größte Gefahr für die Menschheit Männer mit Minderwertigkeitskomplexen und unendlich viel Geld sind. Sie sind die Republikaner von gestern und die Neoreaktionäre von heute. Was sie morgen sind, das weiß der Teufel. Oder Rokos Basilisk. Enhance sich, wer kann. 

Elena Wolf