VON konkret

Am 8. Mai jährte sich der Tag der Befreiung all jener, die die Deutschen zwischen 1939 und 1945 nicht vermocht hatten umzubringen, zum 75. Mal, und noch immer bestreitet die deutsche Presse, dass Opa ein Nazi gewesen sein könnte, gegen den der Iwan die Zivilisation verteidigen musste. Für die »Welt« bleibt »auch 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs« die Frage aktuell: »Wie war es möglich, dass eine obskure Truppe wie die Nazis dieses Land innerhalb weniger Jahre in die Katastrophe führen konnten?« Ja, die Nazis, diese unbekannten Wesen, die von weither gekommen waren, um Deutschland ins Verderben zu stürzen und anschließend spurlos zu verschwinden. Da standen nun die Deutschen mit ihren Fragen und keinen Antworten, Millionen ermordeten Juden und keinen Mördern, Verbrechen gegen die Menschheit und ohne Schuld. Die hatten die anderen: Denn wie die »Tageszeitung« weiß, haben die »Befreier«, um diese obskure Truppe zu vertreiben, sich nicht mit Ruhm bekleckert: »Nicht überall war die blutige Niederringung des NS-Regimes mit der Ausgabe von Kaugummi und Schokolade verbunden, bisweilen kam es – auch im Westen – zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung bis hin zu Vergewaltigungen.«

Rolf Hochhuth, der Dramatiker, der die deutsche Geschichtsschreibung beherrschte, ist am 13. Mai gestorben. Hermann L. Gremliza hatte dem »Aufklärer und Ankläger« (»Tagesschau«) in konkret 10/87 folgendes Kompliment gemacht:

»Wenn aber alle Eseleien gemacht sein werden, jede Dummheit ausgesprochen und aller Schwachsinn rausgelassen, wird immer noch der Rolf Hochhuth übrigbleiben, um den Lesern der ›Hör zu‹ zu erklären:

In der Mitte des 17. Jahrhunderts erschien der Band über Böhmen, den der Kupferstecher Matthäus Merian aus Basel hat drucken lassen; der erste Satz des Buches lautete: »Böhmen ist ein Land in Teutschland...« Das ist nun verspielt durch Hitlers Krieg.  

Es wäre roh, den Hochhuthh, der sich vielstellige Verdienste erworben hat, einfach einen Trottel zu nennen. Denn er ist ein in Grenzen begabter Mann. Es sind die von 1937.«

Aber selbst Hochhuth ist zu gönnen, dass er nicht mehr erleben muss, wie ein Forscherteam der Universität Münster die nun zugänglichen Vatikan-Dokumente aus der Amtszeit von Papst Pius XII. sichtet. Den hatte Hochhuth in seinem »christlichen Trauerspiel« Der Stellvertreter schuldig gesprochen, den Deutschen beim Holocaust
behilflich gewesen zu sein. Hubert Wolf und sein Team sind sich da nicht so sicher, denn, so der Kirchenhistoriker Wolf zur »Zeit«: »Man muss diesem Papst auch gerecht werden wollen!« Das stimmt: Immerhin hatte der den Juden Italiens Kirchenasyl gewährt – allerdings erst einige Tage nach ihrer Deportation.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen? Wie alle zu großen Worte hat auch dieses eine Moral und eine bürgerliche Nutzanwendung. Die Moral mahnt, sich im Leben unterm Kapitalismus nichts vorzumachen, die bürgerliche Nutzanwendung animiert zum Mitmachen.

Zu groß? Ja: Denn eine Kritik, die zum geflügelten Wort von Lohnschreibern und anderen Madenhackern des Kapitals werden kann, muss der Affirmation ein Hintertürchen offenlassen. Dass es auch verschlossen bleiben kann, zeigen Sätze wie diese. Der Hang zum Zweitbuch ist so verbreitet wie unnötig. Wer Hermann L. Gremlizas Haupt- und Nebensätze liest, weiß jedenfalls über den Zustand der deutschen Verhältnisse, was zu wissen sich lohnt. Jetzt erscheint der Band dort, wo er hingehört: in der konkret texte-Reihe. Er ist ab sofort beim Verlag bestellbar.

Ende April hat die »FAZ« sich ein weiteres Mal für die Soziologin Cornelia Koppetsch und ihr gefeiertes Buch Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter in
die Bresche geworfen und dabei späte Rache an konkret und seinem Autor Tom Uhlig genommen. Uhlig hatte in Heft 10/19 Koppetsch große Nähe zu ihrem Untersuchungsgegenstand attestiert und dieses Attest so gut begründet, dass die »FAZ« ihn nun einen »zivilgesellschaftlichen Oberaufseher« schimpft. Zudem suggeriert das Blatt, konkret habe selbst Probleme mit Uhligs Beitrag, »der zunächst auch online war und später von konkret ohne Erklärung aus dem Netz genommen wurde«. Ein Vorgang, der nicht stattgefunden hat, muss nicht erklärt werden: Uhligs Text, der wie alle Online-Beiträge infolge eines Updates der konkret-Homepage vorübergehend nicht einsehbar war, ist dort selbstverständlich zu finden.

Das war nicht abgesprochen: Kaum war Stefan Ripplingers Artikel über Robert Kramer, den großen Filmemacher der Linken, in konkret 5/20 erschienen, kündigte das Pariser Label Re:Voir eine Werkausgabe des Filmemachers in zehn Lieferungen an. Die erste Box mit »Guns« (1980), »Naissance« (1981) und »La Peur« (1983) ist bereits erschienen, vorbildlich aufgearbeitet, mit 60seitigem Booklet, Preis 22,90 Euro.

Verlag und Redaktion bedanken sich bei den vielen Leserinnen und Lesern, die ein konkret Abo abgeschlossen und uns damit geholfen haben, die Verluste, die durch die Schließung der Buchhandlungen und den Rückgang der Kioskverkäufe entstanden sind, abzufedern. Es wäre schön, wenn diese Unterstützung anhielte.