Parole Horst

Die Polizei fühlt sich nicht wertgeschätzt und fordert mehr Respekt. Dabei genießt sie Heldenstatus und darf überdies im Grunde treiben, was ihr passt. Was ist da los? Von Elena Wolf

Da haben sie es mal wieder geschafft, die Helden in Blau: »Während die Beamten in der Anzengruberstraße eine Fahrzeugkontrolle durchführten, sprang der freilaufende Hund namens Anno in den Streifenwagen und wollte nicht mehr aussteigen«, postet das Stuttgarter Polizeipräsidium auf Facebook zusammen mit dem Hundeselfie eines jungen Polizisten, Typ Oberstufenschwarm. Wie süß! Direkt ins kugelsichere Herz des sexy Wachtmeisters mit den Rehaugen hat er sich da gewuschelt, der Anno. Rund 2.400 Likes und 239 Kommentare können nicht irren: »Unsere Polizei« ist einfach die beste. »Ganz dicken Dank«, »Oh, der ist aber süß! Und der Hund auch! Hihihi.«

Auch die Berliner Polizei ist ganz vorne mit dabei, wenn es um intime Einblicke in den Polizeialltag geht, und inszeniert sich auf Facebook in regelmäßigen Abständen als Vertrauenslehrerteam mit der Lizenz zum Schmusen. Die Selbstinszenierung der Ordnungsmacht in ihrer Eigenwerbung und in den sogenannten sozialen Medien erinnert dabei an James-Bond- oder Indiana-Jones-Filme: Zwar wird es hier und da schon mal brenzlig – aber »Indy« und Agent 007 haben in jeder Situation einen flotten Spruch auf Lager und wiegen ihre Fans in der aufregend-prickelnden Gewissheit, von Anfang an schon zu wissen, wer am Ende gewinnt: die Guten. Respekt, Wertschätzung und Herzchen auf allen Kanälen sind die Folge. Im Sommer 2020, nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA, veröffentlicht die Hamburger Polizei die Postkarte eines mutmaßlichen Schülers namens Ben, der sich mit auffallend reifer Handschrift dafür bedankt, dass die Ordnungskräfte »in dieser heiglen (sic) Situation weiterhin für Ordnung auf den Straßen« sorgen. So süß!

Ja, aber wo ist denn eigentlich dann das Problem, das der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in seiner aktuellen Kampagne »Polizei wertschätzen« anprangert? In einem zweiminütigen Youtube-Video spricht er von »Anfeindungen, Angriffen und Gewalt, pauschalen Verdächtigungen und purem Hass«, der den Frauen und Männern der Polizei entgegenschlage, obwohl sie »nur ihre Pflicht tun, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderbricht«. »Üble Hetze über angeblichen strukturellen Rassismus und Polizeigewalt« verunglimpfe die Einsatzkräfte, spalte die Gesellschaft und fördere ein Klima der Verachtung. Betroffene Gesichter betroffener Beamten in einer Foto-Slideshow, die jeden Photoshop-AG-Fünftklässler betroffen macht.

Irgendwie passt das nicht zu den Polizeistiefelleckern auf Facebook, Twitter und Instagram. In einer Umfrage zur Glaubwürdigkeit der Medien vom Oktober 2020, die der Westdeutsche Rundfunk in Auftrag gegeben hat, steht die Polizei auf Platz eins der vertrauenswürdigsten Institutionen der Bundesrepublik. Gefolgt vom Bundesverfassungsgericht und der Verbraucherzentrale. Wo findet er also statt, der ganze systematische Hass, der nun von reaktionären Figuren wie Wendt und Horst Seehofer (CSU) herbeiphantasiert wird, um noch mehr Macht und Rechte für die Polizei zu legitimieren? In Zeitungen, die auf Cartoon-Polizeikalender der Deutschen Polizeigewerkschaft reagieren, in denen neben anderen rassistischen Zeichnungen ein festgenommener Schwarzer mit roten Wurstlippen »Was heiß’ hie’ Ve’dunklungsgefah’?« brüllt? In süffisanten Tweets von FeministInnen, die den Bratwurststand der Gewerkschaft der Polizei (Slogan: »Du räumst die Liebig 34 – wir sorgen für die Energie«) in Berlin kritisieren, weil sie es bizarr finden, dass Frauenvertreterinnen der Direktion 5 in lila Schürzen Currywürste grillen für BeamtInnen, die gerade im Begriff sind, Frauen gewaltsam aus einem besetzten, queerfeministischen Haus zu zerren? Ja, wo kommt sie nur her, die Wut auf unseren Freund und Helfer und seine Knüppelschläge auf G-20-Gipfel-DemonstrantInnen? Etwa von migrantisch aussehenden Menschen und anderen diskriminierten Gruppen, die ohne Angabe von Gründen öffentlich gefilzt werden? Von Drogensüchtigen, Wohnungslosen und SexarbeiterInnen, Geflüchteten oder Armen, die täglich kontrolliert, durchsucht, erniedrigt und gedemütigt werden?

Das Heldennarrativ der Polizei wird von Menschen aufrechterhalten, die in ihrem Alltag keinerlei Kontakt mit ihr haben. Dabei muss man nicht mal ein cracksüchtiger Stricher sein, um regelmäßige Grundgesetzverstöße der Polizei am eigenen Leib zu erfahren. Es reicht schon, wenn man ein Fridays-for-Future-Abiturient ist, der sich für die Rettung der Erde engagiert. »Unsere Helden« verüben fortwährend Gewalt, die laut Grundgesetz »vom Volke« ausgehen soll, an der Bevölkerung, etwa wenn TeilnehmerInnen einer Demonstration gegen Stuttgart 21 mit Wasserwerfern blindgeschossen und verletzt werden.

Der liberalen Sichtweise und kindlichen Verehrung der Exekutive liegt ein großes Missverständnis zugrunde: Die Polizei wurde nicht etwa geschaffen, um für Gerechtigkeit zu sorgen und unser menschliches Bedürfnis nach Schutz zu gewährleisten. Wenn wir die Augen schließen und an Sicherheit und Geborgenheit denken, sehen wir keine schwerbewaffneten Beamten in Uniform und Überwachungskameras. Wir sehen Vertraute, Freunde, Familie. Diese Bilder haben nichts mit dem zu tun, wofür die Polizei tatsächlich erschaffen wurde: zum Schutz des Kapitals vor der Bedrohung durch das Proletariat, einer Klasse, die der Kapitalismus selbst Ende des 19. Jahrhunderts kreierte. Eigentumslose, ArbeiterInnen, MigrantInnen, Arme, Ausgesetzte und Abgehängte: Sie sind es ironischerweise, die am meisten von Gewalt betroffen sind und Schutz bräuchten. Bestimmte ihr Sein im Kapitalismus bislang noch ihr Bewusstsein über das gefühlte Naturgesetz polizeilicher Übergriffe, wächst jetzt eine Generation heran, die diese Natürlichkeit in Frage stellt. Klar, dass unsere Helden da aufschreien. Würde eine aufrichtige Auseinandersetzung doch an den Pfeilern eines Gesellschaftssystems sägen, das ihre Existenzberechtigung sichert. Deshalb Parole Horst: Mehr Polizei, mehr draufhauen! Volle Härte zeigen! Denn erstens ist man bekanntlich selbst schuld am eigenen Leben, und zweitens trifft’s schon immer die Richtigen, gell, Anno? Jaaa, bist ein ganz Braaaver!

Elena Wolf ist Journalistin aus Stuttgart und mag den Geruch von Currywurst am Morgen