"Angriff aus den Institutionen heraus"
Derzeit läuft ein Gerichtsprozess gegen 27 "Reichsbürger". Diesem ging Mitte Dezember 2022 eine bundesweite Razzia voran. In diesem Zusammenhang sprach in konkret 2/23 die damalige Obfrau der Linksfraktion für den Innenausschuss des Bundestags, Martina Renner, über die Gefährlichkeit der Gruppierung und konstantierte: "Man will nicht wahrhaben, dass ein Teil dieses Problems nicht ein Angriff auf die Institutionen ist, sondern ein Angriff aus den Institutionen heraus."
konkret: Nach der Razzia gab es vielerorts ein großes Abwiegeln – diese Reichsbürger seien bloß »Spinner« und »Rentner mit Rollatoren«.
Martina Renner: Den Begriff »Reichsbürger« würde ich immer in Anführungszeichen setzen. Das ist deren Selbstbezeichnung. Wir leben nicht im Deutschen Reich. Das sind Leute, die sich anmaßen, quasi Ordnungsmacht zu sein. Wer behauptet, die seien bloß Spinner, der argumentiert in vollkommener Unkenntnis dessen, womit wir es zu tun haben. Sehr viele kommen aus den Sicherheitsbehörden, haben Erfahrung im Waffenumgang oder sind legal Waffenbesitzer. Von denen geht eine reale Gefahr aus. Sie behaupten, die Bundesrepublik sei illegitim, das Deutsche Reich würde fortbestehen, Deutschland sei besetzt und werde von fremden Mächten gelenkt, was natürlich immer antisemitisch zu lesen ist. Wenn zu diesem ideologischen Hintergrund die Einschätzung kommt, die gesellschaftliche Situation habe sich in den multiplen Krisen so zugespitzt, dass jetzt der Zeitpunkt sei, wo man zu Gewalt und Terror greifen müsse, um die Institutionen anzugreifen, das Parlament, die Rundfunkhäuser, entsteht eine brandgefährliche Situation.
Wie weit sind die Reichsbürger in den Sicherheitsapparaten und der Justiz vernetzt?
Nicht nur die »Reichsbürger« arbeiten auf einen militärischen Putsch hin. Die Verfahren des Generalbundesanwalts in den vergangenen Jahren zeigen, dass die Planung dieser Gruppe eine Gemeinsamkeit aufweist mit den Fällen Franco Albrecht, Nordkreuz, Vereinte Patrioten, Gruppe S. oder Nordbund. Das ist etwas, was derzeit eine Klammer bildet in der rechtsextremen Szene. Wenn man sich anschaut, wer bei der Razzia inhaftiert wurde – Polizisten, Soldaten, Reservisten, eine Richterin –, wird noch mal deutlich, dass es innerhalb der Institutionen des Staats offenbar diese Organisierungsansätze und diese Bestrebungen gibt. Das macht eine besondere Gefahr aus. Denn das sind Leute, die professionell mit Waffen und Sprengstoff umgehen, die militärische Taktiken beherrschen, die Zugang zu Informationen haben, möglicherweise berechtigt sind, in Gebäude wie den Reichstag einzudringen.
Gibt es Verbindungen der Reichsbürger zur AfD? Die Partei behauptet ja, sie sei die einzige Verteidigerin des Grundgesetzes. Müsste sie da nicht erbitterte Gegnerin einer Gruppe sein, die das Grundgesetz für nichtig erklärt?
Was die AfD da erzählt, ist in erster Linie Propaganda. Die erste, die die Presse gleichschalten oder demokratische Parteien verbieten würde, wäre die AfD. Die AfD ist sich bewusst, in welchem Maße ihre eigenen Funktionsträger und Abgeordneten in Bestrebungen hin zu rechtem Terror und Umsturz verstrickt sind. Sie hat Sorge, dass im Zuge der aktuellen Ermittlungen die Debatte geführt wird, inwieweit die AfD in Gänze eine Partei mit verfassungswidrigen Zielen ist, nicht nur ideologisch, sondern über die Verbindung zum Rechtsterrorismus auch praktisch. AfD-Mitglieder findet man unter den Komplizen von Franco Albrecht oder bei den zentralen Akteuren der Gruppe Nordkreuz. Gegen eine Mitarbeiterin des AfD-Abgeordneten Petr Bystron läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Waffenbeschaffung für eine rechte Miliz.
Man könnte nach der Razzia meinen, die Bundesregierung habe das Problem erkannt und gehe endlich dagegen vor. Stimmt der Eindruck?
Inwieweit dieses Ermittlungsverfahren erfolgreich ist, wird sich daran messen lassen, ob es zu Anklageerhebungen und Verurteilungen kommt. Die Razzia allein bedeutet noch nicht, dass diese Netzwerke aufgeklärt und zerschlagen sind. Die Sicherheitsbehörden müssen aufhören, die »Reichsbürger« nur zu einem verschwindend geringen Teil als extrem rechts zu begreifen. Nur 1.000 der 20.000 bekannten »Reichsbürger« werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Der Rest sei »unklar«. Da ist nichts unklar. Die sind völkisch, die sind revisionistisch, die wollen den Rechtsstaat mit Terror beseitigen, die sind autoritär und wollen ein Führerprinzip. Auch glauben sie an eine große jüdische Verschwörung. Was soll das anderes sein als rechtsextrem?
Die nötigen Maßnahmen liegen im Grunde seit vielen Jahren auf der Hand. 2016 gab es beispielsweise den Mord eines »Reichsbürgers« an einem Polizisten. Man hat seitdem versäumt, die Verbindungen in die Sicherheitsbehörden konsequent aufzuklären. Man hat Polizisten und Soldaten mit Bezügen zu dieser Ideologie nicht aus dem Dienst entfernt. Man hat nicht dafür gesorgt, den legalen Waffenbesitzern unter ihnen, und das sind reichlich viele – Schützen, Jäger, Militariasammler, Waffenhändler –, die Erlaubnis zu widerrufen und das Material zu entziehen.
Wie ausgeprägt ist das Problembewusstsein bei anderen Fraktionen im Bundestag?
Es ist prinzipiell da. Dort, wo Polizei und Bundeswehr als Institutionen betroffen sind, gibt es aber sofort eine Gegenbewegung, die lautet: »Jetzt keinen Generalverdacht, das sind alles Unterstellungen, das hat nichts mit den Strukturen zu tun!« Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, keine unabhängige Erhebung zu rechtsextremen Bestrebungen im Staatsdienst. Es gibt nur eine einzige Erhebung aus dem Innenministerium, und die hat das Bundesamt für Verfassungsschutz durchgeführt, das ist quasi eine Selbstbefragung. Man will nicht wahrhaben, dass ein Teil dieses Problems nicht ein Angriff auf die Institutionen ist, sondern ein Angriff aus den Institutionen heraus.
Man müsste sich endlich eingestehen, dass die Gruppe der Rechtsextremen, die Gruppe derer, die mit Haftbefehl gesucht werden, rasant wächst, dass immer mehr rechtsextreme Straftaten begangen werden. Insbesondere seit der Selbstenttarnung des NSU will man aber nicht begreifen, dass die rechte Gefahr nicht kleiner, sondern größer geworden ist.