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Peter Kusenberg über einen internen Messengerdienst des Handelsgiganten Amazon

Der geschätzte Historiker Hans-Josef Steinberg erzürnte sich in seinen Uni-Seminaren immer dann, wenn ein Studiosus unbedacht die Begriffe »Arbeitnehmer und Arbeitgeber« im falschen, also gebräuchlichen Sinne verwendete. Die Bedeutung sei hier in ihr Gegenteil verkehrt, um den Käufer der Ware Arbeitskraft, den Kapitalisten, zum Geber und Gönner des wahren Gebers, des Arbeiters, umzuwerten. Die Herrschaft, so die banale Erkenntnis, setze Framing ein, damit die E-Mobilisierung des Autowahns »Verkehrswende« heiße, die Massenentlassung »Restrukturierung« und der Hungerleider »sozial schwach«.

Der Handelsgigant Amazon arbeitet dagegen weniger mit Euphemismen, sondern setzt bestimmte Reizworte auf schwarze Listen – etwa »Gehaltserhöhung«. So beschrieb es das Investigativmagazin »The Intercept«, das Dokumente zur Betaversion eines internen Messengers der Jeff-Bezos-Firma untersuchte. Demnach werden dort einige Begriffe als unerwünscht markiert, darunter »slave labor« (»Sklavenarbeit«), »union« (»Gewerkschaft«) und »restrooms« (»Toiletten«) – vermutlich, so das Magazin, um zu verhindern, dass sich Mitarbeiter darüber beschweren, dass sie bei Harndrang in eine Flasche zu pinkeln gezwungen sind.

Nachdem im April 2022 in New York Tausende Angestellte des Konzerns eine gewerkschaftliche Vertretung ertrotzten, rief hierzulande Verdi Amazon-Angestellte zum Streik in zwei Werken auf. Der Konzern reagierte mit blumiger Selbstbeweihräucherung: »Es ist uns als Arbeitgeber wichtig, allen Amazon-Kolleg:innen (sic) attraktive Jobs mit guten Perspektiven zu bieten. Wir glauben fest an die Kombination aus fairem Lohn und attraktiven Zusatzleistungen in einer modernen, sicheren Arbeitsumgebung.«

Das passt zur Begründung der Zensur in jenem Messenger durch den leitenden Business-Manager Dave Clark. Clark erklärte, Laune und Produktivität stiegen, wenn beleidigende Äußerungen vermieden werden. Die Mitarbeiter seien zudem ganz wild auf Amazons gamifiziertes Belohnungssystem, das an die digitale Zurichtung in Dave Eggers’ Roman The Every erinnert, wo die Programme die Mitarbeiter »ein paarmal pro Minute anklingeln«, damit »ihre Gedanken umgeformt werden zu einer schwummrigen, bedürftigen Seele«. Nach dem Medien-Bohei wird Amazon den Messenger am Ende vielleicht nicht einsetzen, und falls doch, dann sollte eine wichtige Formulierung unbedingt unzensiert bleiben: »This is dumb!«