Enthusiastische Diskussionen

Zumindest auf Youtube und panzermuseumsmäßig ist Deutschland wieder auf dem Weg zur Weltspitze. Von Florian Sendtner

Seit Monaten ist Deutschland zutiefst besorgt über den russischen Krieg gegen die Ukraine. Wenn man indes wissen will, was dem deutschen Mann diesbezüglich am meisten Kummer macht, muss man eins der vielen Videos von Ralf Raths gesehen haben. Auf Youtube bespricht der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster in der Lüneburger Heide offen und ehrlich, was Deutschland auf der Seele brennt und was bei Maischberger und Anne Will zumeist dem Primat der Politik geopfert wird: die harte militärische Realität.

Die harte militärische Realität: zerbombte Wohnhäuser, Kriegsverbrechen an Zivilisten? Nein, nein, kein Weiberkram. Das Menetekel, das der Krieg gegen die Ukraine an die Wand malt, bringt Männer zum weinen: »Das Ende der Panzer?« In der Folge »Ukraine Special 4« referiert Ralf Raths über das für die deutsche Männerseele zutiefst beklemmende Thema: »Drohnen, Javelins, RPGs und wenige Erfolge für die russischen Panzer: Läutet der Ukraine-Krieg das Ende des Panzers ein?« Javelins und RPGs sind neuartige tragbare Panzerabwehrwaffen, mit denen angeblich eine unbekannte Vielzahl russischer Panzer vernichtet wurde. Was man natürlich nur begrüßen kann. Zugleich aber erhebt sich die bange Frage: Könnten auch deutsche Panzer im Fall des Falles so leicht ausgeschaltet werden? Oder noch schlimmer: Hat der Panzer als Kriegswaffe womöglich ausgedient? Wird es nie wieder zu einer ordentlichen Panzerschlacht mit deutscher Beteiligung kommen?

Der deutschen Panzergemeinde schlägt das Herz bis zum Hals. Doch Ralf Raths kann seine Jungs beruhigen: »Der Panzer ist mit Sicherheit nicht obsolet.« Und weil er weiß, dass 99 Prozent seiner männlichen Zuhörer das Wort »obsolet« nicht kennen, übersetzt er es: »überflüssig«. Nein, der Panzer wird sich durch den Krieg in der Ukraine verändern, aber er wird nicht verschwinden. Es wird auch weiterhin Panzer geben! Nicht nur als Spielzeug, auch in echt, in voller Aktion! Da fällt 425.909 Zuschauern ein Stein vom Herzen.

Ralf Raths Videoreferate schlagen ein wie eine Granate. Das wurde dem Panzermuseumsdirektor nun amtlich bestätigt. Seit Gründung des Kanals 2012 stellte das Panzermuseum 227 Videos ein, die seitdem über 20 Millionen Mal aufgerufen wurden. Im Mai 2022 klingelte es: Die Zahl von 100.000 Abonnenten wurde überschritten, und das hieß: »Das Panzermuseum erhält als erstes deutsches Museum den Youtube Silver Creator Award!« Selbst bei den Youtube-Kanälen der Museen weltweit belegt das Panzermuseum Platz 18! Deutschland gelingt zumindest panzermuseumsmäßig wieder der Anschluss an die Weltspitze!

Das ist aber auch kein Wunder. Wie Ralf Raths mit Dreitagebart und Pferdeschwanz leger auf dem Rohr eines originalgetreu wiederaufpolierten Wehrmachts-Panther sitzt und über Grundfragen des Panzerbaus referiert (Heck- oder Frontantrieb? Benzin oder Diesel?) und darüber, mit Hilfe welcher technischen Kniffe die Wehrmacht eventuell doch den Sieg über die UdSSR davongetragen hätte – das beschert so manchem großen Jungen ein steifes Rohr. Die Folge 9 der »Geschichte(n) aus Stahl« mit dem Titel »Liebling der Massen: der Panther« wurde 1,2 Millionen Mal aufgerufen.

Erst bei 427.775 Aufrufen (innerhalb von neun Monaten) liegt die Folge 15 der »Geschichte(n) aus Stahl«, die den Titel »Der vergessene Blitzkrieger – der Königstiger« trägt. Der »Monsterpanzer« mit über zehn Metern Länge und fast 70 Tonnen Gewicht, von dem in den letzten Kriegsmonaten knapp 500 Exemplare produziert wurden, erregt die nekrophile Phantasie der Nichtzuendegeborenen bis heute. Der Teaser aus der Feder des Panzerdirektors hält sich freilich wissenschaftlich korrekt zurück: »Der Königstiger ist eines der faszinierendsten Objekte der Panzergeschichte. Wenige Fahrzeuge lösen bis heute so starke Emotionen und so enthusiastische Diskussionen aus.« Erst die Kommentare der User lassen die Katze aus dem Sack: »Schon als kleiner Bub hab’ ich als erstes Modell einen Tiger 1 bekommen. Er ist und bleibt ein wunderschönes Gerät in meinen Augen.« Aber was ist der Tiger 1 gegen den Tiger 2, den Königstiger: »Mein Opa hat mir immer mit Stolz von ›seinem‹ Königstiger erzählt. Waren immer spannende wie auch traurige Geschichten dabei.« Und überhaupt: was für Videos! Schlandmäßig cool: »Klasse gemacht, viele wertvolle Informationen, zeitgemäß und locker rübergebracht. Bravo.«

Man kann das Deutsche Panzermuseum in der Kleinstadt Munster (die es zusammen mit der Bundeswehr betreibt) auch realiter besuchen und dort in fünf Hallen auf über 10.000 qm Ausstellungsfläche über 150 »Großobjekte« bestaunen. Auf der Internetseite des Museums heißt es dazu: »Das Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen oder rassistischen Slogans wird im Panzermuseum nicht geduldet, bei Zuwiderhandlung machen wir von unserem Hausrecht Gebrauch.« Aber der deutsche Nationalsozialist hat schließlich Übung mit solchem Ungemach und empfindet es als besondere Ehre, das Hakenkreuz unterm Revers zu tragen.

Momentan muss man allerdings auf einen Panzer verzichten, wie die Museumsseite einräumt: »Da fehlt doch was? Korrekt! In der Lücke steht sonst der T-34-76. Er wurde heute morgen aus der Ausstellung gezogen ...« – zwecks Aufmöbelung. Man muss indes nicht unbedingt ins Museum gehen, um einen T-34-76 zu sehen. Mitten in Berlin, vorm Brandenburger Tor, findet man zwei solche Panzer, am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten. Sie stehen allerdings unter Beschuss. Aus der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses kommen Rufe nach der Entfernung der sowjetischen Panzer, mit deren Hilfe Berlin einst von den Nazis befreit wurde. Hunderttausend Sowjetsoldaten wurden allein beim »Endkampf« um Berlin von fanatischen Hitler-Anhängern getötet. Ein paar Tausend liegen hinter dem Sowjetischen Ehrenmal begraben.

Wie lange wird man auf deutschem Boden noch sowjetische Panzer sehen können? – Da sieht man’s wieder: schon mehr als unterschwellige linke Sehnsucht nach russischer Okkupation! – Ja, klar. Nein, im Ernst. Nur kurz zur Erinnerung: In den vergangenen gut zweihundert Jahren, die napoleonische Zeit eingerechnet, marschierten deutsche Soldaten dreimal gegen Russland, 1812, 1914 und 1941, und dreimal hatten sie dort nicht das geringste verloren. Einmal dagegen in diesem Zeitraum kamen russische Soldaten nach Deutschland, 1945. Sie hatten tausend gute Gründe dafür. Man sollte ihnen noch heute auf Knien dafür danken.

Florian Sendtner schrieb in konkret 7/22 über die neue deutsche Liebe zu den Ukrain