Die Internationale der guten Menschen

Ewgeniy Kasakow über innerlinke Differenzen bei der Bildung einer Antikriegsbewegung

Keine der klassisch linken Parolen erscheint momentan so wirklichkeitsfern wie die Forderung nach internationaler Solidarität. Die linken Bewegungen aus den Staaten, die in den aktuellen Ukraine-Krieg involviert sind, haben oft unvereinbare Vorstellungen davon, was der Begriff Antikriegsopposition bedeutet. Und in jedem dieser Länder gibt es Dissens zwischen verschiedenen linken Fraktionen. Doch selbst diejenigen, die es noch mit der Devise »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« halten, bilden kaum Allianzen mit Gleichgesinnten anderer Länder. Warum nicht?

Es ist auffällig, dass die Kritik der radikalen Linken an ihrer Regierung anderswo meist nicht von der Linken, sondern von rechten Hardlinern aufgegriffen wird. Das ist keineswegs eine Besonderheit des Ukraine-Konflikts. Wer in Deutschland die Entsorgung der NS-Vergangenheit kritisiert, riskiert in Polen Beifall vom PiS-Lager. Diejenigen Polen wiederum, die die offizielle polnische Geschichtsschreibung in Frage stellen und den Umgang mit der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit nicht ad acta legen wollen, setzen sich der Gefahr aus, Zustimmung von hiesigen Vertriebenenverbänden zu erhalten.

Hinzu kommt, dass Argumente ignoriert werden, sobald sie ansatzweise mit der staatlichen Propaganda im eigenen Land korrelieren. Für viele russische Oppositionelle, ob links oder liberal, ist das Thematisieren des ukrainischen Rechtsradikalismus tabu, weil er für die offizielle Kriegslegitimierung herhalten müsse. Häufig klingt schon die Erwähnung der Nato in den Ohren der Opposition nach einer Wiederholung dessen, was ihr sonst der Pressesprecher des Kreml weismachen will. Entsprechend wollen in Deutschland Kritiker des Imperialismus oft nichts vom ukrainischen Alltag unter russischer Besatzung oder von Repressionen und faschistoiden Tendenzen in Russland hören.

»Wir wissen, was die Internationale ist, und auch ich will die Internationale der guten Menschen«, sagt Gedalje, der Held aus Isaak Babels Erzählung Die Reiterarmee. Die Erzählung ist Teil des gleichnamigen Zyklus, der den Polnisch-Sowjetischen Krieg, der 1919–21 auch auf dem Gebiet der heutigen Ukraine geführt wurde, aus der Perspektive der Teilnehmer schildert. Ein guter Mensch zu sein reicht allerdings nicht, um den Krieg zu stoppen. Ohne sich auch die Fakten anzuschauen, die »dem Gegner nützen« können, lässt sich eine grenzübergreifende Antikriegsbewegung nicht auf die Beine stellen.