VON konkret

»Wenn man in der deutschen Nachkriegsliteratur ein Beispiel nennen sollte für historisch bewusste, engagierte Dichtung, wer anders würde einem zuerst einfallen als Martin Walser?«, verabschiedete sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom deutschen »Jahrhundertschriftsteller« (SWR Kultur), den »wir«, so Steinmeier, betrauern und nicht vergessen werden. Tatsächlich haben die Deutschen dem »Beirrbaren« (»Spiegel«) einiges zu verdanken, weshalb sie sich schon zu seinen Lebzeiten dadurch erkenntlich zeigten, dass sie ihm jeden Preis verliehen, den die Republik für gehobenen Geschichtsrevisionismus zu vergeben hat.

Auch in konkret konnte sich der damals als DKP-Sympathisant geltende Walser zwischen 1974 und 1982 breitmachen und etwa dieses veröffentlichen:

Inzwischen spricht man von zwei Deutschländern. Auf beiden Seiten. Dass es diese zwei Länder gibt, ist das Produkt einer Katastrophe, deren Ursachen man kennen kann. Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte – so schlimm sie zuletzt verlief – in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen. … Ich glaube, es existiert ein historisches Bedürfnis, das Katastrophenprodukt zu überwinden. … Sachsen und Thüringen sind für mich weit zurück und tief hinunter hallende Namen, die ich nicht unter »Verlust« buchen kann. … Wir alle haben auf dem Rücken den Vaterlandsleichnam, den schönen, den schmutzigen, den sie zerschnitten haben, dass wir jetzt in zwei Abkürzungen leben sollen. In denen dürfen wir nicht leben wollen. Wir dürften, sage ich mir vor Kühnheit zitternd, die BRD sowenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offen halten. (literatur konkret 1978)

Elf Jahre später, in Heft 6/89, stellte Hermann L. Gremliza klar, dass konkret mit dem sich hier Bahn brechenden »historischen Bewusstsein« nichts zu tun haben wollte:

Martin der Kühne … ahnt gar nicht, was er da sagt: Wenn der historische Prozess aus dem Bedürfnis von uns allen entsteht, wie Walser weit über Marx hinausgreifend normiert, müsste er auch vor ca. fünfzig Jahren so entstanden sein, als das Bedürfnis der Deutschen die Juden sowenig anerkannte wie die Bolschewiken. Ja, wenn morsche Knochen zittern, und sei es vor Kühnheit, geht der Rest der Menschheit besser in Deckung.

Dass konkret Walsers revisionistische Jammerprosa so lange druckte, hatte er seinem Flirt mit der DKP und der Kritik bürgerlicher Kulturredakteure daran zu verdanken. Unter dem Titel »Jetzt reicht’s, Ranicki!« reagierte Gremliza in konkret 5/76 auf einen Verriss des Walser-Romans Jenseits der Liebe durch den damaligen Feuilleton-Redakteur der »FAZ«, Marcel Reich-Ranicki, mit Worten, die zeigen, dass Walsers Liebe zu Deutschland bis dahin deshalb niemandem übel aufgestoßen war, weil auch konkret noch einen weiten Weg vor sich hatte:

Mode, Jongleur, Showmaster, Bajazzo … wer über das politische Bekenntnis eines Schriftstellers so redet, als sei es das irgendeines Feuilleton-Redakteurs der sich mit Grund »Allgemein« nennenden »Frankfurter«, verliert seinen Anspruch auf bloß literarische Befassung. Fragen der Hygiene verlangen nach anderen Antworten.

Erst in konkret 8/94 nahm Gremliza seine »missratene Polemik« zurück:

Ich habe vor 18 Jahren in konkret gegen den Literaturredakteur der »FAZ« polemisiert. Ich habe am Ende dieser Polemik Worte gebraucht, die ich nicht hätte gebrauchen dürfen. Herr Reich-Ranicki wird sich erinnern. Ich hätte ihn schon längst um Entschuldigung bitten sollen.

Bis 1982 wurden Walsers nationalistische Litaneien in konkret gedruckt, weil sie so schlecht nicht in ein Blatt passten, das in Zeiten des Kalten Krieges allem, was irgendwie links war oder als links galt, mit übermäßiger Generosität begegnete und noch nicht wahrhaben wollte, dass auch die deutsche Linke zuallererst deutsch war. Nach 1982 tauchte Walser in konkret nur noch auf, wenn es zu zeigen galt, wie weit die Deutschen auf dem Weg zu ihrem geschichtspolitischen Ziel, von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen, bereits vorangekommen waren.

1999 veröffentlichte konkret das Buch Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik von Joachim Rohloff. Es sind noch einige Restexemplare vorhanden.

Der russische Soziologe und konkret-Autor Boris Kagarlitsky ist wegen seiner Kritik am russischen Angriff auf die Ukraine am 25. Juli verhaftet und in eine Strafanstalt in Sibirien gebracht worden. Er wird der »Rechtfertigung des Terrorismus« angeklagt. Im schlimmsten Fall drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft.

Frank Apunkt Schneiders Kolumne Mit Musik geht alles besser erscheint künftig in unregelmäßigen Abständen.

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