Mitdiener am Wort

Die Korrespondenz zwischen Karl Kraus und seinem Drucker Georg Jahoda dokumentiert eine ebenso mühsame wie fruchtbare Kollaboration. Von Gerhard Henschel

Es gibt zweifellos leichtere Aufgaben im Leben eines Menschen als die, der Drucker von Karl Kraus zu sein. Georg Jahoda, der Miteigentümer der Wiener Druckerei Jahoda & Siegel, war es von 1901 bis zu seinem Tod im Jahre 1926. Welche Nervenbelastungen damit einhergingen, lässt sich der Korrespondenz zwischen Kraus und Jahoda entnehmen, die Friedrich Pfäfflin ediert und bewundernswert kenntnisreich kommentiert hat. »Dem Verlag Jahoda & Siegel fallen, sieht man von den üblichen Aufgaben der typografischen und grafischen Einrichtung von Drucksachen, ihrer Vervielfältigung und Lagerhaltung ab, Aufgaben zu, die das in der Branche Übliche weit übersteigen«, schreibt Pfäfflin und verweist darauf, dass Jahoda nicht nur ein Vierteljahrhundert lang die von Kraus herausgegebene Zeitschrift »Die Fackel« gedruckt hat, sondern für Kraus auch als Verleger, Sekretär, Quellenbeschaffer, Pressemann und Geldverwalter tätig gewesen ist.

Bei jeder Ausgabe musste Jahoda auf zehn bis zwanzig Korrekturgänge gefasst sein, und im Juni 1910 sah er sich mit einer Aufgabe betraut, deren Absonderlichkeit geradezu rührend anmutet. Im »Simplicissimus« war Kraus’ Groteske »Der Biberpelz« erschienen, in deren Manuskript es hieß: »Hier war einmal eine Tatsache, die einen so plausiblen Reiz, eine so unmittelbare Popularität hatte, daß keine Rücksicht auf den Menschen, der von ihnen betroffen wurde, die Leute fernhalten konnte.« In der gedruckten Ausgabe stand jedoch »eine Rücksicht« statt »keine Rücksicht«, woraufhin Kraus an Jahoda schrieb: »Sollten Sie nachmittags in ein Café kommen, so bitte ich Sie, in die sechste Zeile der rechten Spalte in das Biberpelz-Mscr im Simpl. eigenhändig den Buchstaben k zu drucken vor dem Wort eine. Ich nehme an, daß der dumme Fehler durch die ganze Auflage geht.«

Am schwierigsten gestaltete sich die Zusammenarbeit, wenn Kraus auf Reisen war. Davon zeugt, neben vielen anderem, ein verzweiflungsvolles, im September 1912 von Kraus an Jahoda gerichtetes Telegramm: »aergste schwierigkeiten aufregung wagenfahrten zu allen aemtern reiseverhinderung infolge konstanter nichtankunft briefe muenchen weder gestern noch heute drahtet sofort englischer hof wann gestern abgesandt paris kopie verlustbrief nicht erhalten alles raetselhaft« – da wird man als Nachgeborener, dessen WLAN vorübergehend wackeln mag, doch recht demütig.

Dem anspruchsvollen Herausgeber der »Fackel« blieb Jahoda zeitlebens in »unwandelbarer Ergebenheit« verbunden, und wenn er seinem Herzen einmal Luft machte, geschah selbst dies in respektvoller Weise, so wie im Juli 1923, als er Kraus mitteilte: »Nie werde ich im Stande sein Ihre eigene Gedankenrichtung in Erledigung Ihrer Angelegenheiten einzuschlagen, noch jemanden dazu abrichten können. Es genügt keineswegs, wie Sie sagen, ein mechanisches Arbeiten. Eine Gedankenarbeit ist immerhin damit verbunden, wenn auch nicht eine solche, die Sie so nennen würden, sondern wie Sie Menschen mit Durchschnittsverstand bezeichnen. Dieser Durchschnittsverstand wird mit auch von mir anerkanntem Recht als Grund aller Uebel von Ihnen bekämpft. Das Bewusstsein, dass auch ich zu der Herde der Bekämpften gehöre – diese Erkenntnis ist nicht neu – wirkt auf mich irritierend, da es im Widerspruch steht zu der uneingeschränkten Hochachtung, die ich für Sie hege. Ausserdem habe ich das Gefühl, dass der Kampf, den Sie führen, Sie unnachsichtig macht, dass er Sie jedes Wohlwollens gegenüber der anderen, schwächeren Menschheit beraubt.« Es wird Jahoda erfreut haben, dass Kraus ihn wenige Monate später anlässlich seines 60. Geburtstags rühmte – »Mitdiener Du am anspruchsvollsten Wort, / der aus dem Wirrsal der unheilgen Schrift / ein Wunderwerk der Worterscheinung trifft, / daß dem, der dem Erfinder nie verzieh, / der Druck erscheint als hellere Magie; / der glaubend, was ich glaubte, mit erschuf, / dem Handwerk treu im innersten Beruf, / der oft mit meinem Zweifel hat gebangt, / Arzt, der an meinem Fieber gern erkrankt: / Du Herz von gutem Schlag, sei mir bedankt!«

Der Dank galt Jahodas Mühen im Kampf mit Druckfehlern, sinnverwirrenden Silbentrennungen und typographischen Problemen. Darüber gibt dieser verdienstvolle Band in Hülle und Fülle Auskunft, und einmal gibt es auch etwas zu lachen: Im Januar 1924 wurde bei Jahoda ein Autogrammjäger vorstellig, der Kraus »in einer persönlichen Angelegenheit durchaus zu sprechen wünschte«, wie Jahoda in einem Brief an Kraus schrieb. »Er stellte sich als der Maler Erwin Pendl vor und zeigte ein Buch mit zahlreichen Unterschriften von ›bedeutendsten Männern der Literatur, Kunst, Politik, Industrie‹ und wahrscheinlich auch der Hautfinance und äusserte den dringenden Wunsch, dass Sie infolge seiner Wertschätzung für Sie sich auch darin verewigen mögen. Es wurde ihm natürlich von mir bedeutet, dass dieses Begehren vollständig aussichtslos sei, da Sie derartige Wünsche grundsätzlich ablehnen. Er berief sich auf seine Ideengemeinschaft mit Ihnen, infolge deren er von keinem gekrönten Haupte eine Unterschrift einholte, wiewohl er mit Kaiser Karl und Kaiser Wilhelm direkten Verkehr gepflogen hatte, wofür er als Beweis auf eine brillantene Busen-Nadel mit der Initiale ›W‹ mit Krone, hinwies, die er trägt und die er von Kaiser Wilhelm bekommen hat.«

Und als wäre es nicht schon komisch genug, dass jemand versucht hatte, Karl Kraus mit dem Hinweis auf eine von dem kaiserlichen Kretin persönlich verliehene Busen-Nadel zu imponieren, habe jener aufdringliche Besucher erklärt, er könne Kraus »ausnahmsweise« die »Ehre« erweisen, ihn persönlich zu besuchen, »denn es sei eine Ehre, da die prominentesten Persönlichkeiten, die zu ihm ins Atelier kamen, wie Krupp, Fürst Liechtenstein etc etc in seinem Autogrammbuch sich verewigten«. Selbst dieser dubiosen Spur ist Pfäfflin nachgegangen. In einer Fußnote zu der Busen-Nadel hat er vermerkt: »Vermutlich die von Kaiser Wilhelm II. zwischen 1900 und 1910 verliehene Geschenkbrosche in 14 Karat Gelbgold mit rotem transluzidem Emaille und Diamanten, darüber ein ›W‹ unter der Krone.«

Kraus wäre sicherlich tief beeindruckt gewesen.

Friedrich Pfäfflin (Hg.): Karl Kraus und Georg Jahoda. Der Satiriker und sein Drucker und Verleger. Wallstein, Göttingen 2023, 2023, 360 Seiten, 42 Euro

Gerhard Henschel schrieb in konkret11/23 über »Verpreußlerung«