Ego me absolvo

Auch die jüngere Geschichte der katholischen Kirche in Spanien ist eine kriminelle. Von Carmela Negrete

Spaniens katholische Kirche ist womöglich die mit den meisten Fällen von sexuellem Missbrauch. Laut einer vom spanischen Ombudsmann in Auftrag gegebenen Umfrage sollen rund 440.000 Spanier von sexuellen Übergriffen durch Priester und andere Mitarbeiter der Kirche betroffen sein. Bis heute hat der spanische Klerus nur halbherzig Fehlverhalten eingestanden. Dass, obwohl die Mitgliederzahlen seit Jahren sinken, laut der Conferencia Episcopal noch immer rund die Hälfte der Spanier Katholiken sind, liegt vor allem daran, dass Austritte oftmals erschwert werden und man in Spanien keine Kirchensteuer zahlt.

Die Kriminologin Noemi Pereda, Mitglied des Expertenteams, das an dem jetzt erschienenen Bericht über sexuelle Gewalt in der spanischen Kirche mitgearbeitet hat, erklärte dem französischen Auslandsfernsehsender France 24, dass es sich bei den Betroffenen oft um Kinder handle, »die der Kirche anvertraut wurden und dem Priester oder dem Religionslehrer vertraut« hätten. Dass es überhaupt möglich war, diese Verbrechen zum Thema zu machen, hängt damit zusammen, dass die Kirche heute nicht mehr so viel Macht wie vor dreißig Jahren hat. Bisher hat sie Missbrauchsfälle vor allem vertuscht und die Täter geschützt. Pereda sagt, dass die meisten der Opfer Gläubige waren und für sie die Vertuschung oft schlimmer war als die Taten selbst.

Die Reaktion der Kirche auf die im Bericht erhobenen Vorwürfe war überheblich. Sie entschuldigte sich zwar, zweifelte aber zugleich die Zahl der Opfer an. Außerdem relativierte sie ihre Verantwortung mit dem Hinweis, dieses »Phänomen« komme auch in anderen sozialen Bereichen vor.

Immerhin hat sie sich bereit erklärt, die Opfer zu entschädigen. Doch wie hoch diese Entschädigung ausfallen wird, ließ sie offen. Dass die spanische Justiz extrem konservativ und teilweise ultra-katholisch ist, hat bisher dazu beigetragen, dass die Kirche überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen wurde.

Trotz des Missbrauchsskandals sind immer noch rund 2.400 spanische Schulen in kirchlicher Hand, obwohl in diesen Einrichtungen die höchste Zahl an Missbrauchsfällen zu verzeichnen ist. Die Kirche hat, damit diese nicht bekannt wurden, in vielen Fällen die Familien der Betroffenen unter Druck gesetzt und/oder ein Schweigegeld gezahlt. Falls die Sozialdemokraten des PSOE und das Linksbündnis Sumar erneut an die Regierung kommen, würde mit etwas Glück der Koalitionsvertrag Anwendung finden und den katholischen Schulen würden die öffentlichen Gelder entzogen. In diesen Bildungseinrichtungen lernen die Kinder den Hass gegen die LGTBQ-Community von klein auf. Allerdings regt sich gegen die Mittelkürzungen bereits ein deutlicher Widerstand von ultrarechten Organisationen wie Opus Dei, die in Spanien sehr einflussreich sind. Sie sind auch einer der Gründe für die vielen rechten Demonstrationen, die im Oktober in mehreren spanischen Städten stattfanden.

Opus Dei hat seit Ende letzten Jahres mit seinem eigenen Skandal zu kämpfen: Viele fromme Familien, die dieser ultrakatholischen Organisation angehören und die, da sie nicht verhüten, oft sehr viele Kinder haben, ließen ihre Haushaltshilfen in sklavenähnlichen Verhältnissen für sich arbeiten. Einrichtungen von Opus Dei trichterten diesen Frauen ein, für andere Familien bis zu zwölf Stunden am Tag waschen, kochen und putzen zu dürfen, sei ein Geschenk Gottes. Oft arbeiteten diese Frauen unentgeltlich, viele wurden ihrer Freiheit beraubt: Kontakte außerhalb der Arbeit widersprächen Gottes Willen. Ihre Lektüre und Berührungen mit der Außenwelt mussten genehmigt werden. Eine eigene Familie gründen durften sie ebenso wenig wie die eigenen Eltern pflegen. In Argentinien haben sich dutzende Frauen gemeldet, die mit Hilfe von Gehirnwäsche in einer Berufsschule des spanischen Opus Dei, die bis vor sechs Jahren existierte, in »Sklavinnen Gottes« verwandelt wurden. Sie sind nun vor Gericht gezogen.

Doch die spanische katholische Kirche hat noch viel mehr Dreck am Stecken. Bis heute hat sie die Diktatur von General Francisco Franco nicht verurteilt. Noch immer halten Priester Messen zu Ehren des Diktators. Erst nachdem die Justiz die Kirche dazu gezwungen hat, wurde der Leichnam Francos aus der Basilika im so genannten Tal der Gefallenen entfernt, wo sich jedes Jahr anlässlich des Geburtstags des Diktators Faschisten versammelten. Die Basilika der heiligen Jungfrau Macarena in Sevilla beherbergte bis vor kurzem die Überreste des Putschisten Gonzalo Queipo de Llano, eines der brutalsten Generäle Francos. Für diese Verherrlichung der Faschisten hat sich die spanische katholische Kirche bis heute nicht entschuldigt. Hätte die Justiz es ihr erlaubt, würde sie diese bis heute fortsetzen.

Und ein weiteres Verbrechen, für das es immer mehr Beweise gibt, ist bis heute straflos geblieben: Die spanische Kirche war während der Diktatur und bis in die neunziger Jahre in den Raub von Babys involviert. Rund 300.000 Säuglinge wurden nach Angaben von Opfervereinen ihren Eltern entrissen, weil diese »Rote«, also Linke waren, und entweder rechten Familien übergeben oder verkauft. Auch hier verweigert sich die Kirche der Aufklärung.

Carmela Negrete schrieb in konkret 7/23 über die spanischen Parlamentswahlen