Zum Tod von Harry Belafonte

Gestern verstarb Harry Belafonte. Aus diesem Anlass erscheint hier noch einmal ein von Günter Amendt geführtes Interview mit dem Sänger, Schauspieler und politischen Aktivisten aus konkret 12/81.

 

Ein Künstler und die Wirklichkeit

In Wien sprach Günter Amendt mehrere Stunden mit Harry Belafonte. KONKRET veröffentlicht einen Auszug. 

KONKRET: Glauben Sie, dass einer wie Sie, der als Künstler eine große öffentliche Resonanz hat, eine besondere Verantwortung trägt? 

BELAFONTE: Ich glaube nicht, dass jemand, der gebildet ist, automatisch ein Humanist ist.  Viele Künstler in Europa und in Amerika sind' Eigentum multinationaler Konzerne. Sie sind das Eigentum von Einrichtungen, die Kapital in die Ausbeutung der Völker der Welt investiert haben. Und das Leben dieser Künstler wird von nur einer Frage geleitet: werden wir oder werden wir nicht geliebt von diesen Institutionen? Mag NBC mich, oder mag NBC mich nicht? Mögen mich 20th Century Fox und Columbia Pictures, oder mögen sie mich nicht? Mögen mich General Motors oder IBM, oder mögen sie mich nicht? Mag mich Präsident Reagan, oder mag mich Präsident Nixon, mag mich Präsident Carter, oder mögen sie mich alle nicht? Alle messen ihren Lebensstil, ihre täglichen Hoffnungen und Erwartungen an solchen Personen und ihrer Stellung in diesen Institutionen. 

Ich sage, es gibt nur eine Verantwortung für den Künstler, und das ist die gegenüber dem Volk. Wenn deine Wahrheit in Übereinstimmung ist mit der des Volkes, dann gibt es keinen Grund, irgendwo sonst nach Wahrheit zu suchen, weil das Volk dich unterstützt. Natürlich, wenn du danach strebst, in Beverley Hills zu leben und das größte Haus in der Welt zu haben und gefangen bist in wirklich bedeutungslosen und dekadenten bourgeoisen Erwartungen, dann wird beides nicht zusammenkommen, die Wahrheit und solche Erwartungen. Ich glaube, dass ich allen Schwarzen und allen Farbigen überhaupt, die irgendwelche Fähigkeiten haben, aber Angst, offen zu sein, sagen muss: Wenn an meinem Leben etwas Beispielhaftes sein sollte, dann sollten diese Menschen verstehen, dass man für soziale und menschliche Ziele kämpfen kann und trotzdem überlebt. 

KONKRET: Sie sprechen von der Unterdrückung des Volkes, und Abend für Abend sprechen Sie in einer Art Gospel-Predigt von den Teufeln, die an die Macht gelangt sind: Reagan, Weinberger und Haig. Welche Folgen hat die US-amerikanische Kriegswirtschaft unter den Bedingungen eines relativen Friedens für die Unterdrückten und Ausgebeuteten, für die Schwarzen, für die Chicanos, für die indianischen Ureinwohner und auch für die armen Weißen? 

BELAFONTE: Niemals zuvor gab es eine Situation in den USA, wo Leute an die Macht gekommen sind wie Reagan, Weinberger und Haig, mit dieser Gier nach Macht und mit der Absicht, diese Macht um jeden Preis auszuüben. Ich habe niemals zuvor Leute erlebt, die sich einen Dreck um die kümmern, die ihnen am nächsten sind, ganz zu schweigen von denen, die ihnen am fernsten liegen. Deshalb, glaube ich, ist es interessant, die Leute jetzt zu beobachten, die Reagan gewählt haben und die hofften, dass er so etwas wie einen neuen Geist, eine neue Stimme, eine neue Idee für die Zukunft darstellt. Und häufig wurden gerade sie nach Reagans Amtsantritt die ersten Opfer. Ich denke an bestimmte Gewerkschaftsgruppen, ich denke an bestimmte schwarze Führer, die Bündnisse mit ihm eingegangen sind... 

Aber ein Mann wie Reagan kann gar nicht anders, als die Stimme der Freiheit zu ersticken und den Versuch zu machen, den Freiheitswillen zu unterdrücken, wenn er sein Programm erfüllen will. Er muss ganz einfach jede Bewegung für ein besseres Leben aller Menschen in den USA unterdrücken. Als Carter noch im Amt war, gab es wenigstens noch ein paar offene Wege. Er hat öffentlich erklärt, dass eine Nation, die die Menschenrechte verletze, bei den USA schlecht angesehen sei. Das meiste davon war natürlich mehr Absichtserklärung als Tatsache. Aber trotz allem hat es in der amerikanischen Nation eine Stimmung hervorgerufen, so dass man zumindest hörte, dass dies ein erklärtes Ziel sei, obwohl es Betrug war. 

So absurd es klingt: Reagan ist da ehrlicher. Er hat den Leuten erklärt, was er zu tun beabsichtigt, und es ist genau das, was er auch tut. Er hat niemals etwas anderes versprochen als das, was er gerade tut. 

Ich erinnere mich an eine Anekdote: Zwei Jazz-Musiker waren auf dem Weg nach Europa, und in der Nacht - es war eine schöne Nacht - waren sie an Deck des Schiffes. Sie schauten hinunter auf das Wasser. Ein Musiker sagte zum anderen: Mein Gott, sieh nur wieviel Wasser. Einige Minuten später sagte der andere Musiker: Ja, und das ist nur die Oberfläche! 

Und nun sehen Sie sich Reagan an: Sie sehen ihn an und denken: Mein Gott, welcher Irrsinn. Man weiß, jeden Tag rückt er mit einem neuen Beweis seines menschenverachtenden Schwachsinns heraus, und ich denke, es ist sehr wichtig, ihn anzusehen und zu verstehen, dass er nur die Oberfläche ist. Denken Sie an alles, was darunter vorgeht, was Sie nie sehen können: Was macht die CIA? Warum sind die so dahinter her, im Kongress der USA ein Gesetz durchzubringen, das der CIA erlaubt, heimlich in das Leben eines jeden amerikanischen Bürgers einzudringen? 

Das ist ein Horror! Das ist zurück zu den Tagen der Gestapo. Das ist zurück zu den Tagen McCarthys. Wenn Reagan jetzt die verschiedenen Ämter - besonders im Obersten Gerichtshof - mit Leuten besetzt, die ihm genehm sind, dann werden diese Männer und Frauen noch dort sein und bestimmen, was im politischen und sozialen Leben zu passieren hat, lange nachdem es Reagan nicht mehr gibt. 

KONKRET: Er wird also die ganze Struktur verändern. 

BELAFONTE: Ja, er wird die Strukturen verändern, und nicht nur für 4 Jahre, ja möglicherweise für 10 Jahre, für 20 Jahre. Wenn Reagan den Obersten Gerichtshof in ein rechtskonservatives Gericht umwandelt und seiner Auffassung von Justiz unterwirft, dann wird es schlecht aussehen für die Schwarzen, die Armen, für Frauen und alle anderen, denen das Gericht grundsätzlich feindlich gesonnen ist. 

Wenn man Reagan so betrachtet, muss man einfach begreifen, dass es hier nicht nur um einen neuen Präsidenten geht, sondern um das ganze Umfeld, das seine Politik mitträgt. Deshalb sage ich jeden Abend am Ende des Konzerts: Es geht hier nicht um Personen. Je mehr er es schafft, überall in der Welt öffentliche Unterstützung für seine Regierung zu finden, desto länger kann er seine Politik fortführen. Deshalb glaube ich, dass es sehr wichtig für uns ist, Bündnisse zu schließen und fortschrittliche und liberale Kräfte überall in der Welt zu unterstützen. 

Wir brauchen die Bündnisse auch im Blick auf unsere eigenen Bedürfnisse als Amerikaner. Die Schwarzen in den USA brauchen ein demokratisches Lateinamerika, sie brauchen ein freies Lateinamerika, sie brauchen die Länder in Afrika, die Führer haben, die wirklich für sozialen und politischen Fortschritt sind, die gleiche wirtschaftliche Möglichkeiten für alle Menschen schaffen. Sie brauchen keine Marionetten-Regimes, die es uns natürlich auch schwer machen. Die Schwarzen sind es, die einen teuren Preis bezahlen für das, was die Entwicklung neuer Waffen kostet. 

Wenn ich also von Reagan spreche, ist es nicht genug, ihn als dumm darzustellen. Man muss verstehen, dass die Macht der Präsidentschaft einen entsprechenden Kongress und Senat nach sich zieht. Die Reagan-Mannschaft weiß, dass sie dabei schnell und gründlich alles ändern muss, um einen mächtigen Senat für die Rechte, einen mächtigen Kongress für die Rechte zu schaffen. Sie benutzen die »moral majority« und religiöse Organisationen, die ihnen helfen sollen, eine politische Ideologie zu entwickeln, die an religiöse Glaubenssätze gebunden ist. Etwa für eine bestimmte Person zu stimmen, heißt gegen Gott zu stimmen. Das ist der Gipfel der Gefahr und der Dummheit. 

KONKRET: Wie reagieren die, die heute bereits Opfer sind? Deutet sich eine neue Sozialbewegung an? 

BELAFONTE: Ehrlich gesagt, wir befinden uns zum ersten Mal in einer Lage, die uns die Chance gibt, Koalitionen zu bilden, die es nicht einmal in den späten Vierzigern gegeben hat. Ich denke, dass die Politik Reagans ernsthafte Auswirkungen auf die Jugend hat. Er will die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen, weil er Soldaten braucht. Das betrifft die Jugend. Er hat bereits wirtschaftliche Schritte vollzogen, die heute schon die Armen mehr unterdrücken als jemals zuvor. Er hat politische Entscheidungen getroffen, die eine ernsthafte Bedrohung für die Indianer sind. Die Indianer wurden von ihrem Land vertrieben und in Reservate gesteckt. Mit schlechtestem Boden. Und das liegt viele, viele Jahre zurück. Jetzt hat man entdeckt, dass dieses Reservats-Land reich an Uran und sehr reich an mineralischen Bodenschätzen, sehr reich an Öl und Kohle ist. Jetzt wollen sie die Indianer wieder von diesem Land vertreiben. Sie zwingen sie, in Stadtgebieten zu leben, wo es ihnen einfach unmöglich ist zu überleben. Sie können das Leben nicht leben, das die Menschen in den Städten leben. Es ist also Völkermord. 

Ich glaube nun, dass alle diese Gruppen beginnen, die Auswirkungen von Reagans Regierungsprogramm zu spüren. Vieles davon wird seine realen Auswirkungen erst im nächsten Jahr haben. 

Beispielsweise hat man das Schulspeisungsprogramm für Kinder, die es nötig haben, gekürzt. Das ist Teil der Budgetkürzungen. Wie kann man Schulkinder, die Nahrung brauchen, nicht ernähren? Natürlich gibt es Leute, die einem erzählen, das sei nicht wahr. Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie die Fakten lesen, werden Ihnen die Augen aufgehen. So schreibt z. B. das Gesetz vor, dass Kinder Gemüse haben müssen, grünes Gemüse haben müssen als Bestandteil ihrer Nahrung. Besonders die armen Kinder, die gewöhnlich unter der schlimmsten Fehlernährung leiden. Reagans Leute stellen sich auf den Standpunkt, Tomatenketchup sei ein Gemüse. Hamburger mit Ketchup als vitaminhaltiges Gemüse sei ausreichend. Wenn ein Mann so denkt und die Leute, die mit ihm zusammenarbeiten, die gleiche Mentalität haben, dann ist das sehr gefährlich. 

Aber Reagan gibt uns auch die Chance zusammenzukommen, und zwar auf eine Art, dass wir vielleicht die Fähigkeit erwerben, aus unseren früheren Fehlern zu lernen. Wir werden dabei herauszufinden haben, dass die Schlacht weiter gehen muss als früher. Offensichtlich haben wir zu früh halt gemacht. Wir haben vor vielem zu früh halt gemacht. Denn wenn wir weiter gegangen wären, hätten wir heute nicht Reagan. 

Die Rolle der Schwarzen beginne ich neu einzuschätzen. Ich treffe meine politischen Entscheidungen nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der Hautfarbe. Sie ist nicht der Ausdruck der politischen Wahrheit. Denn wir waren naiv, als wir angenommen haben, dass ein Schwarzer, nur weil er von Schwarzen gewählt worden ist im Namen der Bürgerrechtsbewegung, seine politische Verantwortung wahrnehmen würde. Stattdessen wurden viele dieser Leute von der Macht verführt, und Macht wurde zum Selbstzweck. Sie waren nur noch an Macht interessiert und an ihrer Karriere. Sie begannen das Spiel mit dem Mann an der Spitze zu spielen, den sie eigentlich vertreiben wollten. 

KONKRET: Das ist, was wir hier Sozialdemokratismus nennen. 

BELAFONTE: Das ist eine Tragödie. So müssen wir erneut fragen, wie wir eine starke Friedensbewegung organisieren können, oder wie wir Studenten organisieren können, und wie wir das Volk der USA dahin führen können, klar zu verstehen, was eigentlich passiert. Ich muss zugeben, dass viele Leute fragen, wo ist der Sprecher, wo ist der, der uns sagt, was wir tun müssen. Ich weiß es nicht. Aber das berührt mich auch nicht, weil das Volk immer seine Sprecher findet. So ist es immer in der Geschichte gelaufen. Es war nicht eine große, besonders intelligente Gruppe, die zusammenkam und die Bürgerrechtsbewegung von damals geplant hat. Es war ein politisches Ereignis, das sie möglich gemacht hat. Eine schwarze Frau saß in einem Bus in Montgomery, Alabama und man kann nicht tiefer in das Herz der Rassentrennung und der Unterdrückung vordringen als in Montgomery, Alabama. Es war der schwierigste Ort in den ganzen USA. Niemand hätte jemals erwartet, dass dort die Revolution starten würde, oder die Mini-Revolution, wie wir sie nennen. Aber dieser schwarzen Frau taten die Füße weh, und sie weigerte sich, hinten im Bus zu sitzen, wie es das Gesetz vorschrieb, und wo ihr Vater schon saß und ihr Großvater. Sie sagte nur, meine Füße tun mir weh, und ich will das alles nicht mehr. 

Der Busfahrer wollte handgreiflich gegen sie werden. Und die schwarzen Männer konnten einfach nicht mit ansehen, was da vor sich ging. Und sie erhoben sich gegen ihn. Und dann begann jene kleine Rangelei. Und am nächsten Tag sah jeder, was sich ereignet hatte, und alle erwarteten, dass die Welt aus den Fugen gerät in Montgomery, Alabama. Und man hielt Ausschau nach einem, der fähig war, eine friedliche Lösung auszuhandeln. Und man fand einen kleinen Prediger, von dem noch kaum jemand gehört hatte. Er war Student am theologischen Seminar der Bostoner Universität. Er hatte gerade sein Studium abgeschlossen. Sein Name: Martin Luther King. 

Diese kleine Erfahrung bildete schließlich den Schirm, der sich über die Bürgerrechtsbewegung spannte, und über die Frauenbewegung und über die Friedensbewegung. Es war einfach fantastisch. Ich glaube, dort liegt die Wahrheit, nämlich zu verstehen, dass es nicht immer jene, die die Möglichkeit haben, in den Medien zu publizieren und, aufzutreten, auch diejenigen sind, die führen können. Man sollte sich nicht aufregen, sondern man sollte wissen, dass es überall und immer Sprecher gibt. Sie sind im Volk und kommen aus dem Volk. Und wenn das Volk bereit ist zu kämpfen, werden sie ihre Sprecher aus den eigenen Reihen bestimmen. 

Ich bin überhaupt nicht... doch, ich bin frustriert, ja natürlich, ich würde gerne sehen, dass sich alles schneller bewegt und intensiver. Aber ich verstehe jetzt, dass das Volk, wenn es an der Zeit ist, in Bewegung gerät. Wir in Amerika müssen fähig werden zu verstehen, was die Stimmen der 300 000 jungen Deutschen in Bonn - einige von ihnen nicht mehr so jung - und die 450 000 einige Wochen später in ganz Europa, und die der Friedensdemonstration mit 1015 000 Menschen in Wien für uns bedeuten. Wir sollten uns von ihnen ermutigen lassen. Wir haben Verbündete überall in der Welt, die sich gegen die gleichen Dinge auflehnen. Gerade weil darüber in der US-amerikanischen Presse nicht ausführlich berichtet wird, müssen wir die Kommunikation offen halten und begreifen, dass wir im Bewusstsein der Welt sind. 

KONKRET: Sie glauben also, dass das was sich in Europa abspielt, für die USA besonders wichtig ist? 

BELAFONTE: So wichtig wie alles, was sich sonst in der Welt abspielt. Besonders in bezug auf die Friedensbewegung. Europa ist das empfindlichste und schwierigste Gebiet auf der Welt. Ich denke, es ist sogar wichtiger als das, was in Lateinamerika passieren kann. Denn natürlich, hier ist es, wo die Ideologien auf die Probe gestellt werden und aufeinanderprallen. 

Hier ist es, wo die größten Lügen erzählt werden. Denn die Reaktion wird Europa benutzen, um ihre unheilvollen Absichten zu verwirklichen. Hier will sie testen, ob sie fähig ist zu gewinnen. Oder ob sie verlieren wird. Ich glaube, die Europäer wissen das. Wenn ich Europäer wäre, würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen gegen das, was Reagan ankündigt. Ich würde auf jeden Fall meine Stimme erheben. 

Wir müssen auch begreifen, dass es die USA waren, die als erste die Atombombe warfen, zu einem Zeitpunkt, als es sonstwo keine Atombomben gab. Und man hat die Bombe nicht einmal mit einer humanitären Verbrämung geworfen. Wir hätten die Macht dieser Bombe doch demonstrieren können, indem irgendeine Insel fern von allen Küsten versenkt worden wäre, wenn wir die Welt schon beeindrucken wollten. Aber warum hat man Hiroshima bombardiert und dann auch noch Nagasaki? Es gibt eine grundsätzliche Unmenschlichkeit, die ausgenutzt wird von bestimmten Leuten, die gewissenlos handeln, wenn sie entsprechende Waffen und Technologien besitzen. Jeder der glaubt, dass es eine begrenzte atomare Konfrontation geben könnte, ist einfach dumm. So zu denken, ist kriminell. Jeder hat eine Verantwortung gegenüber allem, was auf der Welt lebt. Nicht nur gegenüber Menschen. Wir müssen uns auch für die Fische, die Bäume und die Vögel verantwortlich fühlen. Sie alle leben. 

Im Zentrum all dieser Verantwortung spielt Europa eine sehr, sehr wichtige Rolle. Im Gegensatz zu anderen Regionen, die sich noch in einem Entwicklungsprozess befinden, die auch nicht annähernd über vergleichbare technologische Macht und Fähigkeiten verfügen. Vieles von dem, was passieren muss, muss aus den Ländern kommen, die die technischen Mittel haben. 

KONKRET: Unlängst hat irgendein südafrikanischer Offizieller im ARD-Fernsehen gesagt, es sei die Aufgabe der Weißen, die Schwarzen zu beschützen. Er begründete das so: In den Industrienationen habe sich eine neue Sensibilität gegenüber Umwelt und Natur entwickelt. Die Schwarzen seien Natur. Deshalb sei es die Aufgabe der Weißen, sie zu beschützen. 

BELAFONTE: Äußerst fürsorglich. Ich sage ihnen, wenn die Schwarzen in Südafrika frei sein werden, werden sie sich um die Weißen kümmern und sie beschützen, weil sie die Weißen als Teil der Natur betrachten werden. 

KONKRET: In einem Interview wurde Miriam Makeba gefragt. »Sollte der Kampf gegen das weiße Regime in Südafrika mit Waffen geführt werden?« Miriam Makeba hat geantwortet: »Ich wüsste nicht, was Worte nützen sollten, wenn der. Gegner ein Gewehr in der Hand hat. « Was halten Sie davon? Sind Sie Pazifist? 

BELAFONTE. Nein. Ich glaube nicht, dass jemand, der von ganzem Herzen und mit all seinen Gedanken versucht, gewaltlose Lösungen zu finden, ein Pazifist ist. In letzter Konsequenz glaube ich nicht, dass Worte etwas erreichen können, auch wenn man wirklich und ernsthaft versucht, den Gegner zu überzeugen. Und zwar dann nicht, wenn dein Gegner sich auch als dein Unterdrücker herausstellt, der Vernunft nicht akzeptiert, und der fortfährt, das Leben deiner Kinder und das Leben um dich herum zu zerstören. Dann sage. ich, wenn einmal diese Grenzen der Vernunft erreicht sind, wirst du alle Mittel ergreifen, die dir zur Verfügung stehen um dich zu befreien. Alle denkbaren Mittel überhaupt. 

Wenn es zu diesem Punkt kommt und wir damit konfrontiert werden, dann müssen wir uns stellen. Das heißt nicht, dass wir nur über den Tod unseres Gegners sprechen. Ich denke dabei auch an meinen Sohn. Ich möchte nicht, dass er tot ist. Ich denke dabei auch an alle Menschen, die ich liebe und um die ich mich sorge. Deshalb versuche ich zu verhandeln. Ich versuche Menschen zu bewegen. Aber Pazifist zu sein angesichts eines Regimes wie Südafrika, das, glaube ich, ist unmöglich. Mit Leuten wie Reagan wird sich dieses Regime von Tag zu Tag stärker und stärker fühlen. 

Mir ist es auch egal, woher die Waffen kommen. Ich muss mich gegen einen Gegner verteidigen, der mich entmenschlicht, der brutal ist und der mich unterdrückt. Mir ist es egal, ob die Waffen aus der Sowjetunion, aus England oder aus Frankreich kommen. Du nimmst einfach, was du bekommen kannst. Denn Freiheit ist das teuerste und wichtigste Gut. Niemand hat das Recht, dir Freiheit als Geschenk zu geben. Sie gehört dir, und du hast das Recht, sie dir zu nehmen, wenn man sie dir verweigert. 

Es gibt kein Land, das mehr von dieser Philosophie lebt als die Vereinigten Staaten von Amerika. So steht es in der Verfassung. 

Jeder, der jemals Unterdrückung erlebt hat, jeder, der jemals Zentralamerika, Lateinamerika, die Westindischen Inseln, Afrika und viele Teile Asiens besucht hat, kann sehen, was europäische Herrschaft und amerikanische Herrschaft diesen Völkern und Ländern angetan haben. Niemand kann guten Gewissens fortfahren, irgendetwas zu unterstützen, was ein Mann wie Reagan zu diesen Ländern zu sagen hat. 

Nehmen Sie einmal Costa-Rica. Es galt als eine der wenigen Demokratien in Zentralamerika, und es war sehr reich durch seinen Kaffee. Dann hat es eine sehr, sehr schlechte Ernte gegeben. Und dann gibt es auch noch Mächte in der Welt, die den Kaffeepreis kontrollieren und ihn herabsetzen. Unversehens befand sich Costa-Rica in einer verheerenden Situation, besonders die Mittelschicht; die Bauern waren sowieso schon immer ausgebeutet. Als dann die Wirtschaft zusammenbrach, regte sich Protest, und der begann sehr aggressiv zu werden. Er suchte neue Antworten auf die Probleme des Landes. Die USA entsandten ihre Vertreterin bei der UNO - ich glaube, ihr Name war Kirkpatrik. Sie ging hin und schaute sich die Situation an und kam zurück in die USA und forderte, sofort massenhafte militärische Hilfe an die Regierung von Costa-Rica zu leisten, um ihr bei ihren Problemen zur Seite zu stehen. Die Führung Costa-Ricas sagte, das ist sinnlos, wir haben nicht einmal die Armee. Wozu brauchen wir Panzer, Gewehre und Munition? Das ist es wirklich nicht, was wir brauchen. Seitdem hat das Volk von Costa-Rica nicht mehr viel von den USA gehört. Die Situation dort ist sehr kompliziert und die Probleme gehen sehr tief. Die Bevölkerung wird ständig propagandistisch beeinflusst und auch belogen. 

Lassen sie uns deshalb von denen unter uns reden, die verstehen, die mehr Informationen haben und mehr Möglichkeiten, die Wahrheit zu sagen. Es ist unsere Verantwortung, von der Wahrheit zu sprechen, wann immer wir können. Selbst wenn ich in einem Raum mit 3.000 Menschen sitze und nur ein paar Leute finde, die weggehen mit neuen Ohren, neuen Augen und mit neuen Gedanken in ihrem Hirn, dann betrachte ich diese Nacht vom sozialen und politischen Standpunkt aus als einen Sieg. Jeder, der ins Theater kommt und über Afrika nur in der Tarzan-Perspektive denkt, also nur vom rassistischen Standpunkt aus, hört Miriam Makeba oder Letta Mbulu und muß doch von deren Kunst irgendwie berührt sein. Und mit einer Frage weggehen, einer neuen Vorstellung, einem neuen Gefühl. 

Viele sagen, Künstler sollten nicht politisch sein. Ich sage, Künstler sollten nichts anderes sein als das. Sie sollten sehr politisch sein, sie sollten sehr sozial sein. 

Wir haben immer auf Wahrheiten zu achten, wir müssen sie finden, jeder muss das. Ich denke, die Kunst ist einer der bedeutendsten Orte, wo Wahrheiten ausgedrückt werden sollten; in unseren Romanen, in unseren Liedern, in unseren Bildern. Wenn irgendjemand zu mir sagt, Künstler sollten keine Politiker sein, so sage ich, meinen Sie etwa alle Künstler, oder meinen Sie nur die fortschrittlichen? 

Es ist ein harter Kampf. Man hat zwei Möglichkeiten. Will ich ein Leben führen, in dem meine Seele, mein Geist und mein Herz tot sind und darum nicht das Leben leben, oder benutze ich das Leben im Dienste des Lebens und lebe bewusst und voller Emotionen ein reiches Leben in diesem Sinn? Das genau strebe ich an. 

Klar, ich wache morgens auf und habe alle Arten von physischen Problemen. Ich bin müde, manchmal friere ich, manchmal bin ich einfach genervt durch einen Zwischenfall, der plötzlich wahnsinnig wichtig ist. Aber jeder Tag des Lebens ist eine neue und eigentümliche Sache für mich. Ich fühle mich verbunden mit allen Menschen, die in Schwierigkeiten sind, und die einen erfolgreichen Kampf gegen die Unterdrückung führen. Ich fühle mich verbunden mit dem Volk von EI Salvador und den Völkern in Lateinamerika, die gegen die amerikanische Herrschaft kämpfen. Ich fühle mich verbunden mit allen Europäern, die nach neuen Antworten für ihr Leben suchen, die neue Wege suchen für neue Lösungen ihrer Probleme, auch in der Sowjetunion. Auch dort hat man Fehler gemacht, und auch dort sollte man versuchen, diese Fehler nicht zu wiederholen. 

Und wenn ich die Worte in einem Lied nicht finden kann, von dem ich möchte, dass sie etwas über Reagan sagen, dann sage ich es nur mit den Worten. Einige Leute werden sauer. Sie seien nicht gekommen, um Politik zu hören. Vergebt mir. Aber ich werde immer politisch sein, und wenn ich euch beleidigt haben sollte und ihr euch irregeführt fühlt, dann geht und holt euch das Geld zurück. Ich werde dafür sorgen, dass ihrs zurückbekommt. Das habe ich manchmal gemacht, wenn Leute sich beschwert haben. Ich bin jetzt 54 Jahre alt. Ich finde das Leben aufregender denn je, aber ich bin auch beunruhigter als früher. 

Ich bin oft genug im Gefängnis gewesen. Ich habe die McCarthy Zeit erlebt. Ich habe gesehen, wie meine Freunde festgenommen wurden. Ich habe in den USA die Unterdrückung von Gedanken und Idealen erlebt. Ich habe gesehen, wie sie den in meinem Leben bedeutendsten Mann - Paul Robson - fertiggemacht haben. Ich habe aus allem gelernt. Ich habe Dr. King erlebt und musste ansehen, wie sie ihn ermordeten. Ich kannte Malcom X., und ich habe die weißen jüdischen Jungen gesehen, die als Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung ermordet wurden. Ich habe viele Weiße erlebt, die mit uns ins Gefängnis gingen. Man kann in seinem Leben nicht Mitkämpfer wie diese gehabt haben, die mit ihrem Leben bezahlt haben, und sich dann vom Kampf zurückziehen. Ich kann das alles nicht vergessen. 

Wie kannst du mit dir selbst klar kommen, wenn du erleben musstest, wie die anderen um dich herumsterben mussten, ohne dass du gegen Reagan auftrittst. Er ist, neben der Tatsache, dass er ein Kriegstreiber ist, ein Rassist. Er ist ein Rassist. Er schert sich einen Dreck um die Schwarzen und ihre Probleme. Die Armen sind ihm gleichgültig. Und wenn jemand im Publikum sagt, ihm gefalle nicht, was ich politisch sage, dann kann mich das nicht einschüchtern. Ich mache, was ich tun muss. Mein einziges Problem ist, tue ich es so gut, wie ich es nur irgend kann? Das ist mein einziges Problem.

 

Liane Uecker und Hannelore Heinrichs halfen bei der Übersetzung und Bearbeitung des KONKRET-Gesprächs