Hau ab III

Die »Rückführungsoffensive« bezweckt eine nationalstaatliche Abschottung um jeden Preis. Von Thomas Hohlfeld

Abschiebungsalltag in Deutschland: Im Juli 2023 wurde ein junger Mann, der zum Studium nach Deutschland gekommen war, nach Mauretanien abgeschoben. Als katholischem Konvertiten drohe ihm dort Verfolgung, hatte er vorgebracht. Das Asyl-Bundesamt und ein Einzelrichter bewerteten die Hinwendung des Mannes zum Christentum jedoch als nicht glaubhaft, ihm drohten bei einer Rückkehr keinerlei Sanktionen.

In der mehr als viermonatigen Abschiebungshaft wurde der Betroffene noch getauft, die Abschiebung erfolgte dann mit einem so genannten »Einzelcharter«, das bedeutet: Es wurde eigens ein Flugzeug für den Transport des Mannes und für die fünf (!) begleitenden Bundesbeamten angemietet. Kostenpunkt: 114.085 Euro, hinzu kommen noch die Kosten der Abschiebungshaft in vermutlich fünfstelliger Höhe. Eine Abschiebung um jeden Preis, könnte man also sagen, eine Abschiebung »im großen Stil«, wie vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz im »Spiegel«-Interview öffentlichkeitswirksam gefordert. Nach der Abschiebung meldete sich der Betroffene beim Pastoralreferenten der Wuppertaler Kirchengemeinde, die ihn unterstützt und getauft hatte – aus dem Zentralgefängnis in Nouakchott. Ihm werde nun der Prozess wegen Apostasie, also seines Abfalls vom Glauben, gemacht, erklärte er. In Mauretanien droht ihm eine mehrjährige Haft.

Ein krasser, aber kein Einzelfall. Es häufen sich schon seit längerem – ungefähr seitdem angebliche »Defizite bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht« politisch beklagt werden – solche Berichte aus der Praxis über Abschiebungen: Abschiebungen von Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Abschiebungen von psychisch oder physisch kranken Menschen, trotz laufender Behandlung oder sogar aus dem Krankenhaus heraus. Abschiebungen von Überlebenden des Völkermords an den Jesiden an den Ort der Verbrechen im Irak. Familienangehörige werden immer wieder durch unangekündigte Abschiebungen voneinander getrennt, und selbst langjährig hier lebende Menschen, die eine Wohnung haben und einer Arbeit nachgehen und damit nach gängigem Narrativ zu denen gehören, »die wir brauchen«, werden immer wieder abgeschoben.

Diese rigide Abschiebungspraxis soll nach dem Willen der Ampel-Parteien noch weiter verschärft werden. Unter CDU/CSU-Führung wurden zu Zeiten der Großen Koalition bereits zwei Gesetze zur Erleichterung von Abschiebungen verabschiedet, die von Flüchtlingsverbänden einfachheitshalber »Hau ab I« und »Hau ab II« genannt wurden. Dennoch fand sich im Koalitionsvertrag der selbst ernannten »Fortschrittskoalition« die Ankündigung einer »Rückführungsoffensive«. Mangels konkreter Vereinbarungen zu entsprechenden Gesetzesänderungen war dies noch überwiegend als politische Symbolik gedeutet worden. Inzwischen liegt aber ein so genanntes »Rückführungsverbesserungsgesetz« vor, das im Januar 2024 (nach Redaktionsschluss) vom Bundestag beschlossen werden soll. Dabei suggeriert der euphemistische Begriff der »Rückführung« eine sorgsame Begleitung der Menschen an ihren Herkunftsort; der Begriff der »Abschiebung« trifft den in jeder Hinsicht gewaltsamen Vorgang und das dahinterstehende politische Konzept der nationalstaatlichen Abschottung weitaus besser.

Die Entstehungsgeschichte des aktuellen »Hau ab III«-Gesetzes ist bemerkenswert: Keine der zahlreichen Verschärfungen findet sich im Koalitionsvertrag. Ausgangspunkt waren vielmehr Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern von Februar bis November 2023 (Ministerpräsidentenkonferenzen). In diesem Rahmen befürwortete Bundeskanzler Scholz, offenbar ohne große Absprache mit den Regierungsparteien, zahlreiche Gesetzesänderungen, die so genannte »Praktiker« zuvor auf der Arbeitsebene eruiert hatten, um die Arbeit der Außer-Landes-Schaffung von Menschen zu erleichtern.

Zurückgegriffen wurde dabei auch auf lang gehegte Pläne der eingesessenen Abschiebungsbürokratie, die in den Schubladen des Bundesinnenministeriums lagerten, sich aber nicht einmal unter CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer hatten durchsetzen lassen. Die »stille Macht« der Ministerialbürokratie kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich im Gesetzentwurf und in vorformulierten Änderungsanträgen Verschärfungen fanden, die weder im Koalitionsvertrag noch auf den Bund-Länder-Treffen vereinbart worden waren. Kritische Journalisten, wache Rechtsanwälte und kundige Oppositionspolitikerinnen machten diese öffentlich, da sie unscheinbar und kaum verständlich im Gesetzespaket versteckt waren.

Und damit zu den Inhalten des Gesetzes: Infolge der Änderung nur eines Buchstabens in einer komplizierten Verweisregelung drohte eine Kriminalisierung der humanitären Seenotrettung. Die Hilfe bei der »unerlaubten Einreise« in die EU, etwa infolge einer Seenotrettung, sollte demnach auch dann strafbar sein, wenn sie unentgeltlich und aus altruistischen Motiven erfolgt. Nach Kritik erklärte das Innenministerium, dass dies nicht beabsichtigt sei. Doch der Rechtstext sprach eine andere Sprache und hätte zumindest umfangreiche Überwachungs-, Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen gegenüber zivilen Seenotrettungsorganisationen ermöglicht. Laut Medienberichten wollten die Ampelparteien diese Regelung noch einmal ändern.

Unverändert gilt, dass unangekündigte Überraschungsabschiebungen auch nach längerem Aufenthalt künftig die gesetzliche Norm sein werden. Ausnahmen sollen nur noch bei Familien mit Kindern unter zwölf Jahren gelten – als seien überfallsartige Abschiebungen Jugendlicher weniger traumatisch und mit dem Kindeswohl vereinbar. Zur Begründung heißt es im Gesetzentwurf, dass erneute Ankündigungen einer Abschiebung, nachdem die Betroffenen länger als ein Jahr geduldet wurden, »entbehrlich« seien und »nur zur zusätzlichen Belastung der Ausländerbehörden« führten. Diese kühl berechnende Haltung, die dem »Hau ab III«-Gesetz insgesamt zugrunde liegt, ist mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, der es vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen verbietet, Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen.

Es geht um Menschen, die oftmals seit vielen Jahren in Deutschland leben, deren Kinder hier zur Schule gehen und deren Abschiebung über eine längere Zeit nicht möglich war. Unangekündigte Abschiebungen führen in diesen Fällen dazu, dass die Betroffenen buchstäblich aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen werden: Ihre Wohnung können sie weder kündigen noch auflösen; auf der Arbeit werden sie ohne Vorankündigung fehlen; die Kinder können sich nicht von ihren Freundinnen und Freunden verabschieden und werden von einem auf den anderen Tag nicht mehr Teil der Schulgemeinschaft sein. Abschiebungsankündigungen nach länger geduldetem Aufenthalt sollten eine Prüfung aktueller Gründe gegen eine Abschiebung ermöglichen oder ob zumindest eine »freiwillige« (erzwungene) Ausreise der gewaltsamen Abschiebung vorzuziehen ist. Doch diese rechtsstaatlichen Grundsätze für ein verhältnismäßiges Behördenhandeln werden im Umgang mit Ausreisepflichtigen künftig nicht mehr gelten.

Der so genannte »Ausreisegewahrsam« soll von maximal zehn auf 28 Tage ausgeweitet werden. Entgegen der Begrifflichkeit geht es um Abschiebungshaft unter erleichterten Bedingungen. Denn die Behörden müssen in diesen Fällen nicht einmal eine »Fluchtgefahr« vorbringen, um die einschneidende Maßnahme der Inhaftierung von Menschen, die kein Verbrechen begangen haben und die eine solche Festnahme oft als Schock erleben, zu begründen.

Abschiebungshaft soll unabhängig von einer Asylantragstellung erfolgen können. Damit werden asylsuchende Menschen in Deutschland immer häufiger ihrer Freiheit beraubt. Mit ihnen wird faktisch wie mit Kriminellen umgegangen, unabhängig davon, ob sie als schutzbedürftig angesehen werden oder nicht. Auch zuvor Abgeschobene oder an den Grenzen Zurückgewiesene sollen schneller in Haft genommen werden können. Zudem sollen Menschen künftig sechs statt bisher drei Monate in Haft genommen werden können, um ihre Abschiebung leichter zu organisieren.

Die Polizei wird in Flüchtlingsunterkünften bei Festnahmeaktionen für Abschiebungen künftig auch die Räume von nicht Betroffenen betreten dürfen – das können auch Familien mit Kindern sein, die mitten in der Nacht durch Schläge an der Tür geweckt werden. Das ist eine extreme Belastung für zumeist ohnehin geschundene und traumatisierte Menschen, die angesichts dieser latenten Unsicherheit in den Unterkünften nicht zur Ruhe kommen können. Obwohl viele der Verschärfungen damit begründet werden, dass es vor allem um die Abschiebung von »Straftätern« und »Gefährdern« gehen soll, wird an dieser Stelle sehr deutlich, dass alle Geflüchteten negativ von den Neuregelungen betroffen sein werden.

Besonders brisant ist auch die Kriminalisierung von »unrichtigen oder unvollständigen Angaben« im Asylverfahren. Diese sollen künftig nicht nur zur Asylablehnung führen, sondern zudem mit einer Freiheitsstrafe bis drei Jahre oder einer Geldstrafe geahndet werden. Im Asylverfahren ist die Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Aussagen zentral. Häufig wird Asylsuchenden nicht geglaubt, nicht selten kommt es dabei zu Fehleinschätzungen. Wenn Asylsuchende in der Anhörung keine vollständigen Angaben machen, ist dies oft auf traumatische Erlebnisse zurückzuführen oder es geschieht aus Unkenntnis oder Scham, etwa bei geschlechtsspezifischer Verfolgung. Beim schwierigen Ringen um die Wahrheit im Asylverfahren mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu drohen, ist völlig unverhältnismäßig und wird zur weiteren Stigmatisierung von Asylsuchenden beitragen. Die Neuregelung könnte überdies auch zu erheblichen Belastungen für Behörden und Gerichte führen, wenn entsprechende Strafverfahren in größerer Zahl eingeleitet werden sollten.

Skandalös ist die Verständigung von Bund und Ländern, Sozial- und Gesundheitsleistungen für Asylsuchende und Geduldete nicht nur für 18 Monate, sondern für drei Jahre zu kürzen. Das ist eine offenkundige Missachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum menschenwürdigen Existenzminimum, das allen Menschen zukommt und migrationspolitisch nicht relativiert werden darf. Infolge eines Grundsatzurteils aus Karlsruhe aus dem Jahr 2012 war die Zeit gekürzter Leistungen von 48 auf damals 15 Monate abgesenkt worden – und selbst das konnte mit guten Gründen als noch zu lang und zu pauschal erachtet werden. Die erneute Heraufsetzung der Kürzungsdauer auf drei Jahre ist grob willkürlich und missachtet die verfassungsrechtliche Pflicht zur empirisch belegten Begründung, warum für einen solch langen Zeitraum bei Geflüchteten angeblich geringere Existenzbedürfnisse vorliegen sollen als bei anderen Menschen. Auch dies ist ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und damit eine gezielte Verletzung der Menschenwürde durch den Gesetzgeber.

Auf viele weitere Rechtsänderungen und Detailregelungen kann hier nicht eingegangen werden. Im Gesetzentwurf wird jedenfalls geschätzt, dass alle Verschärfungen zu insgesamt etwa 600 zusätzlichen Abschiebungen pro Jahr führen werden. Das ist eine vergleichsweise geringe Zahl, doch die Rechtsbeschränkungen und das Leid für die Betroffenen werden erheblich sein. Aus Sicht der Behörden mag es Umstände geben, die ihr »Geschäft« der Abschiebung erschweren. Allerdings stehen dem Vollzug des Aufenthaltsrechts die Menschenwürde der Betroffenen und grundsätzliche rechtsstaatliche Prinzipien gegenüber, die Abschiebungen um jeden Preis eben nicht zulassen. Wenn im Umgang mit Geflüchteten die Grundsätze eines verhältnismäßigen Behördenhandelns und damit Kernelemente der Demokratie aufgegeben werden – statt sie gegen Angriffe von rechts offensiv zu verteidigen –, ist das auch ein schlechtes Zeichen für die allgemeinpolitische Entwicklung in Deutschland.

Sachliche Gründe für die Verschärfungen sind übrigens selbst aus Sicht der Abschiebungsbefürworter kaum zu finden: Derzeit werden so viele Asylsuchende als schutzberechtigt anerkannt wie nie zuvor; die Schutzquote des Asylbundesamts liegt bei inhaltlichen Entscheidungen bei etwa 70 Prozent. Viele der zunächst Abgelehnten erhalten später doch noch einen Schutzstatus von Verwaltungsgerichten oder indem das Bundesamt falsche Entscheidungen korrigiert. Und selbst wenn kein Asylgrund vorliegen sollte, können sich humanitäre, familiäre oder andere Aufenthaltsgründe ergeben. Bleiberecht statt Abschiebung müsste also eigentlich die politische Devise lauten.

Anders als immer wieder behauptet wird, müssen die – vergleichsweise wenigen – Geflüchteten, die keine rechtlich akzeptierten Gründe geltend machen können, sehr wohl eine Abschiebung fürchten. So wurden bis Ende Oktober 2023 bereits mehr Abschiebungen vollzogen (13.512) als im Gesamtjahr 2022 (12.945). Hinzu kamen im selben Zeitraum noch knapp 24.000 so genannte »freiwillige Ausreisen«. Die Zahl der abgeschobenen und ausreisenden Menschen war zuletzt deutlich höher als die der zur Ausreise aufgeforderten Personen. Auch die Zahl Ausreisepflichtiger ist zurückgegangen: Von über 300.000 Menschen Ende 2022 auf nur noch etwa 250.000 Personen Ende Oktober 2023 – und von diesen waren nur 145.000 abgelehnte Asylsuchende, um die sich die politische Debatte vor allem dreht. Vier Fünftel der ausreisepflichtigen Menschen verfügen über eine Duldung, weil sie aus ganz verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können: weil gesundheitsbedingte Abschiebungshindernisse vorliegen; weil in den Herkunftsländern Krieg oder Bürgerkrieg herrschen; weil enge familiäre Bindungen zu Menschen mit Aufenthaltsrecht bestehen oder weil es sich um unbegleitete Minderjährige handelt. Bei weniger als einem Zehntel der Geduldeten unterstellen die Ausländerbehörden, dass eine Abschiebung scheitert, weil die Betroffenen nicht an der Passbeschaffung mitwirken oder sie zu ihrer Herkunft getäuscht hätten. Eine nüchterne Betrachtung all dieser Zahlen zeigt: Es gibt keine relevanten »Defizite« bei der »Durchsetzung der Ausreisepflicht«. Nichts rechtfertigt auch nur ansatzweise die aufhetzenden politischen Debatten und drastischen Gesetzesverschärfungen – soweit man sich überhaupt auf die herrschende Abschiebungslogik einlassen mag.

Der unterstellte Handlungsbedarf rührt vor allem aus der Auseinandersetzung mit der AfD, deren Forderungen in der Asylpolitik nach und nach von der Union und nun teilweise eben auch von der Ampel übernommen werden. Scholz und seine Regierung verfolgen offenbar das Kalkül, Forderungen vom rechten Rand entgegenzukommen, um Ruhe an dieser Front zu haben. Die rechten Claqueure werden sich jedoch angespornt fühlen, weitere Verschärfungen zu fordern, da sie derartige Erfolge erringen konnten und von der Ampel kein grundlegender Widerspruch zu vernehmen ist.

Thomas Hohlfeld ist Politikwissenschaftler und langjähriger Fachreferent der Linksfraktion im Bundestag